Wembley-Tor jährt sich zum 50. Mal

Am Samstag jährte sich das Wembley-Tor, der wohl berühmteste und auch umstrittenste Treffer der Fußballgeschichte, zum 50. Mal. DFB-Ehrenspielführer Uwe Seeler erinnert sich.

Hamburg (SID) – Diese vermaledeiten Momente lassen Uwe Seeler einfach nicht los. Dieser Schuss, dieses Klatschen des Balles ans hölzerne Gebälk des deutschen Tores, dieser verhängnisvolle Pfiff von Schiedsrichter Gottfried Dienst.

„Ich stand hinten am Strafraum und habe genau gesehen, dass der Ball nicht hinter der Linie war“, sagt Seeler, Kapitän von damals, und erinnert an den wohl umstrittensten Treffer der Fußballgeschichte. Auch 50 Jahre später liefert das legendäre Tor von Wembley noch immer abendfüllenden Gesprächsstoff.

30. Juli 1966. WM-Endspiel. Verlängerung. Es läuft die 101. Minute, als der Engländer Geoff Hurst sich ein Herz fasst und aus kurzer Distanz abzieht. Der deutsche Torhüter Hans Tilkowski ist geschlagen, der Ball prallt von der Unterkante der Querlatte zurück auf den Rasen und wird von Verteidiger Wolfgang Weber ins Aus geköpft. Nach Rücksprache mit seinem sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow entscheidet der Schweizer Referee auf Tor. 3:2 für die Three Lions – die Vorentscheidung.

„Die Aufregung war bei uns allen groß. Wir wussten zuerst ja gar nicht, was los ist. Keiner von uns hat die Entscheidung auf Tor verstanden“, erzählt Seeler im SID-Interview: „Die verstehe ich heute nach 50 Jahren immer noch nicht. Es war kein Tor.“

Während England seinen ersten – und bis dato einzigen – Titelgewinn bei einem Großereignis feiert, bleibt Seeler, inzwischen DFB-Ehrenspielführer, und seinem Ausnahme-Team um Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath und Helmut Haller die Krönung verwehrt. „Ich glaube, alle Spieler haben das inzwischen gut verdaut. Auch wenn das ein entscheidender Moment war, das ist im Sport manchmal so. Das muss man verkraften und wegstecken“, sagt Seeler.

Über kein anderes Tor – oder Nicht-Tor – ist so ausführlich diskutiert und geschrieben worden wie über den Treffer von Wembley. Ganze Generationen redeten sich bei diesem Thema die Köpfe heiß. Selbst der Schiedsrichter konnte im Nachgang nichts zur Aufklärung beitragen. „Ich weiß auch heute noch nicht, ob der Ball drin war. Und wenn sie mich nach 100 Jahren wieder ausgraben und ich komme auf die Welt, werde ich es immer noch nicht wissen“, sagte Dienst, inzwischen verstorben, 1995.

Torschütze Hurst, der 1998 von der britischen Königin Elisabeth II. geadelt wurde, verweigerte lange jegliche Äußerung zu den entscheidenden Sekunden. Dann schrieb er ein Buch mit dem Titel „1966 and all that“. „Die Deutschen glaubten aufrichtig, dass der Ball die Linie nicht überschritten hatte. Nachdem ich immer wieder alle Argumente gehört und die Zeitlupe hunderte Male gesehen habe, muss ich einräumen, dass es aussieht, als hätten sie Recht“, erklärt Sir Geoff darin.

Um jedoch nicht als Verräter zu gelten, folgt ein kleiner Zusatz: „Sofern nicht jemand das Gegenteil beweist, stimme ich mit den Herren Dienst und Bachramow überein.“

Wissenschaftliche Untersuchungen erbrachten zuletzt das Ergebnis, dass der Ball 1966 nicht mit vollem Umfang hinter der Linie war. Und trotzdem behaupten nach wie vor viele der englischen Weltmeister beharrlich das Gegenteil. „Wenn Geoff oder Bobby oder Jackie mal hier sind, dann lachen wir schon alle ein bisschen“, sagt Seeler und fügt mit einem breiten Lächeln an: „Die wissen schon genau, dass der Ball nicht drin war. Die haben das ja auch gesehen.“

Im heutigen Profi-Fußball sind derlei Diskussionen dank Torlinientechnik undenkbar. „Heute ist Fußball zum reinen Geschäft geworden. Da ist es notwendig, dass man gewisse Maßnahmen unternimmt, um solche Entscheidungen zu verhindern“, sagt der 79-Jährige. Aber ansonsten „sollte man, im Interesse unserer Sportart, den Fußball so lassen, wie er ist. Natürlich gibt es immer mal wieder Fehlentscheidungen, aber die gehören zum Fußball einfach dazu.“

SID cs jz nt

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