Mit dem WM-Traum vor Augen: Ukraine spielt „um das Überleben“

Nur noch ein Sieg: Die ukrainische Nationalmannschaft will ihren Landsleuten mit einem Erfolg gegen Wales den WM-Traum erfüllen – und eine Freude in dunklen Zeiten bereiten. 

Der Krieg in der Heimat tobt seit über 100 Tagen, das unermessliche Leid ihrer Landsleute wächst stetig – doch die ukrainischen Fußballer könnten entschlossener kaum sein. So kurz vor dem großen WM-Traum gehe es nicht mehr um „Kondition oder Taktik“, betonte Starspieler Oleksandr Sintschenko, „sondern um das Überleben“. Sie wissen schließlich genau, für wen sie spielen.

Nur Wales steht nach schweren Monaten noch zwischen der Ukraine und ihrem sportlichen Traum, nur ein Sieg fehlt bis zur Teilnahme an der WM-Endrunde in Katar. „Wir werden alles dafür tun, um die Ukrainer stolz zu machen“, versprach Nationaltrainer Oleksandr Petrakow vor dem Showdown am Sonntag (18.00 Uhr) in Cardiff. Sie alle wollen für einen kleinen Lichtblick in dunklen Zeiten sorgen.

Gegen Superstar Gareth Bale und seine Waliser braucht es allerdings einen weiteren Kraftakt, physisch und psychisch, „die Leistung unseres Lebens“, wie Sintschenko betonte. Es sind schließlich Wochen und Monate, die an die Substanz gehen. Nach dem Erfolg gegen Schottland (3:1) sanken gleich mehrere Spieler auf die Knie. Erleichtert, vor allem aber auch erschöpft.

Die Beine sind schwer, der Kopf ist leer. Dass etliche Spieler erstmals seit Kriegsausbruch am 24. Februar wieder ein Pflichtspiel absolvierten, dass die emotionale Last für die Mannschaft kaum geringer wird, sieht Sintschenko aber eher als Motivation. „Alle werden bis zum Ende kämpfen und alles geben, denn wir werden für unser Land spielen“, sagte der Star von Manchester City.

Es sind die Botschaften aus der Heimat, die Nachrichten von Soldaten an der Front, oder die Schicksale ihrer Mitmenschen, die das Team antreiben. Selbst Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich nach dem Sieg in Schottland für „zwei Stunden des Glücks“.

Im Cardiff City Stadium wartet nun erneut ein Abend voller Emotionen. Das Motto könnte lauten: Angetrieben durch das Herz, geleitet durch einen kühlen Kopf. Genau so agierten die Ukrainer bereits beim überzeugenden Auftritt im Halbfinale.

In Wales jedenfalls blicken sie voller Respekt auf den Gegner. Es müsse „unglaublich schwer sein, in ihrer Haut zu stecken“, sagte Nationalspieler Ben Davies: „Wir schätzen uns sehr glücklich, dass wir nicht jeden Tag miterleben müssen, wie hart es ist und wie schwer es für sie sein muss, ihr Leben zu verlieren.“ Eine kleine Zahl an Freikarten soll laut BBC an ukrainische Geflüchtete verteilt werden.

Wales erscheint schlagbar – und das, obwohl die Briten von der ersten WM-Teilnahme seit 64 Jahren träumen. Für die ukrainischen Spieler aber geht es womöglich auch darum, einen kleinen Beitrag zu leisten. Dafür, dass die Situation in der Heimat bis zum Turnierstart (21. November bis 18. Dezember) im Fokus der Weltöffentlichkeit bleibt.

(SID) / Bild: Imago