„Nun ja, Mist“: Shiffrin ist sich selbst ein Rätsel

Mikaela Shiffrin zeigt derzeit ungewöhnliche Schwächen: Nach dem ihr völlig missratenen Riesenslalom in Courchevel ist die Weltcup-Dominatorin daher erst mal ratlos.

Am Abend nach dem Rennen, das in ihrer Welt einem Desaster gleichkam, versuchte sich Mikaela Shiffrin an einer Erklärung. Weit kam sie dabei nicht. „Ich würde gerne mehr über meinen Tag erzählen“, schrieb sie auf Twitter, „aber meine Gedanken sind so sehr am Herumwandern, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.“ Also postete Shiffrin jenes braune Emoji, das einem Hundehäufchen gleicht und merkte dazu an: „Nun ja, Mist … aber kommt vor.“

Ein derartiger Mist ist bei der besten Skirennläuferin der Welt allerdings schon lange nicht mehr vorgekommen: Rang 17 beim Riesenslalom in Courchevel, so schlecht lief es für die 24 Jahre alte Weltcup-Dominatorin bei einem Rennen, bei dem sie das Ziel erreichte, zuletzt vor drei Jahren. Shiffrin war so enttäuscht von sich, dass sie anschließend mit den Tränen zu kämpfen hatte. „Es gibt keine Ausreden“, erklärte sie später, „es lag an mir.“

Aus Sicht von Shiffrin war das Rennen irritierend. Im ersten Lauf fuhr die Frau, die für gewöhnlich derart präzise am Limit agiert wie sonst keine, ziemlich mutlos. „Ich habe nicht genug riskiert“, bekannte die Amerikanerin, stellte aber zugleich fest: „Wenn ich in der Vergangenheit nicht genug riskiert habe, war’s trotzdem okay.“ Dieser erste Lauf sei der „herzzerreißendste“ in ihrer Karriere gewesen. „Es kommt nicht oft vor, dass ich mir einen Plan mache und ihn überhaupt nicht umsetzen kann“, sagte sie.

Tatsächlich erweckt Shiffrin seit Saisonbeginn häufiger den Eindruck, als gingen ihre Pläne nicht auf. Was daran liegen mag, dass ihr vergangener Winter so unglaublich war: Von den 35 Rennen bestritt sie nur 26 – dennoch gewann sie überlegen den Gesamtweltcup, zum dritten Mal nacheinander. Von diesen 26 Rennen gewann sie 17 (Rekord), nur fünfmal stand sie nicht auf dem Podium. Sie holte auch die kleinen Weltcupkugeln im Super-G, im Riesenslalom und im Slalom.

Nach dem vergangenen Winter ergab sich schließlich die ein oder andere Änderung in Shiffrins Leben. Sie beschloss, sich etwas mehr zu öffnen und die Menschen auch über die Sozialen Netzwerke mehr an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Sie trennte sich von ihrem Freund, dem französischen Skirennläufer Mathieu Faivre. Vor allem aber: Mutter Eileen, Antreiberin, Trainerin und von Mikaela gerne als „die Chefin“ bezeichnet, ist nicht mehr bei jedem Rennen dabei, sie hat sich zurückgezogen.

Nicht, dass Shiffrin nun völlig abstürzt, mitnichten: Sie hat zwei Saisonsiege eingefahren und nun insgesamt 62, dazu kommen zwei zweite und zwei dritte Plätze bei ihren neun Starts – im Gesamtweltcup liegt sie schon wieder klar in Führung. Und doch wirkt sie derzeit verwundbarer, nicht mehr so souverän. Eine neue Erfahrung, aber, behauptete sie jedenfalls am Dienstag in Courchevel: „Das ist nicht das Ende der Welt. Es geht ja nicht um Leben und Tod.“

(SID)

Artikelbild: GEPA