ÖSV: Was passiert nach Marcel Hirscher?

(APA) – Nach dem Karriereende Marcel Hirschers klafft im heimischen Skiverband (ÖSV) ein Loch. Kurzfristig wird das Fehlen der Erfolgsfigur kaum zu kaschieren sein, das verdeutlichen schon die nackten Zahlen der jüngeren Vergangenheit. Die ÖSV-Spitze gibt sich zweckoptimistisch.

Anton Giger gibt sich erst gar keinen Illusionen hin. „Marcel Hirscher ist ein Ausnahmeathlet, er hat neue Benchmarks gesetzt, der kann in dieser Form nicht ersetzt werden“, sagte der ÖSV-Sportdirektor am Mittwoch zur APA – Austria Presse Agentur. „Wir müssen die Erwartungen herunterschrauben, den Ball flachhalten.“

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Hirschers Siege abgezählt, hätten die österreichischen Skifans in den vergangenen fünf Saisonen nur 24 Weltcupsiege in der Männersparte bejubelt. Anders formuliert: Von 64 rot-weiß-roten Siegen hat Hirscher 44 eingefahren, vier Mal gab es dabei einen Doppelsieg. Ähnlich klar ist der Blick aufs Treppchen: Von 157 Podestplätzen im Zeitraum der Saisonen 2015/16 bis zur vergangenen holte Hirscher alleine 79, das entspricht fast genau der Hälfte.

Giger sieht, „dass die anderen Nationen nachrücken“, und er sieht auch „dass die Schweizer und Franzosen ein sehr starkes Team haben“. Im alle Weltcuppunkte zusammenzählenden Nationencup erwartet er deshalb „ein Stirn-an-Stirn-Rennen“ zwischen drei Nationen. „Wir werden die Arschbacken zusammenkneifen müssen, um am Ende der Saison als Mannschaft ganz vorne zu stehen.“

Im Kampf um den Gesamtweltcup stehen der Norweger Henrik Kristoffersen und Alexis Pinturault aus Frankreich als Hirscher-Nachfolger bereit. Für Österreichs Männer gilt in der kommenden Saison das, was für die Frauen-Sparte schon länger der Fall ist: „Wir können um Podestplätze mitfahren, wir können um Siege fahren, aber wir sind nicht Favorit auf den Gesamtweltcup – das sind andere“, sagte Andreas Puelacher, der Herren-Rennsportleiter im ÖSV.

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Der Alpinfraktion droht nach dem Abgang der Galionsfigur eine Dürreperiode. Weil Langzeit-Verbandspräsident Peter Schröcksnadel schon im Sommer auf Kampfmodus umgeschaltet haben will, schreibt er aber auch den Gesamtweltcup nicht ab. Kristoffersen und Pinturault müssten auch erst liefern. „Wie bei einem Stürmer knapp vor dem Tor, der muss ihn auch erst reintun. Unsere Jungen haben eine gute Chance, da mitzumischen“, erklärte Schröcksnadel.

Er hat weiter rot-weiß-rote Erfolge eingeplant. „Ich muss ja an die Zeit denken, wenn ich einmal nimmer bin. Wir wollen da eine gute Mannschaft übergeben.“ Die Grundlagen dafür sieht der 78-Jährige mit Startrainern im eigenen Haus geschaffen. „So wie wenn Mourinho und Klopp in einem Verein wären, so gute Trainer haben wir jetzt im ÖSV.“

Der mächtigste und finanzstärkste Sportverband des Landes kann natürlich weiterhin aus einem tiefen Talente-Pool schöpfen. Und auch Hoffnungsträger gibt es. In den Siegerlisten vergangener Jahre stehen auch die Namen der Speedfahrer Vincent Kriechmayr, Matthias Mayer und Max Franz, oder – auf der Technikseite – Michael Matt und nicht zuletzt Marco Schwarz.

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Der Kärntner Schwarz (24) wurde medial bereits als möglicher Kronprinz Hirschers ins Rennen geführt. „Das ist Blödsinn“, sagt Puelacher angesichts dessen Gesundheitszustand. Der dreifache WM-Medaillengewinner von Aare 2019 hat sich im Saisonfinish das Kreuzband gerissen. An den Gesamtweltcup ist daher, so Puelacher, nicht zu denken. „Du brauchst nach einem Kreuzbandriss eineinhalb Jahre, um wieder dort zu sein, wo du davor warst.“

Zudem war Schwarz schon vor seiner Verletzung vor allem durch den Kippstangen-Wald schnell, in der Kerndisziplin Riesentorlauf klafft eine Riesenlücke. Hinter Disziplinsieger Hirscher gab es mit dem so schnellen wie ausfallgefährdeten Manuel Feller nur noch einen Österreicher in den Top 20.

„Die Riesentorläufer haben in der letzten Saison mannschaftlich gute Rennen gehabt. Aber auch Rennen, wo der Marcel alles abgedeckt hat“, erklärte Giger. „Die Qualitäten, die der Marcel gelebt hat, die wollen wir natürlich in die Mannschaft reinbringen.“ Er meint damit vor allem Hirschers Akribie, seinen Erfolgshunger und sein fanatisches, an der Grenze zur Perfektion arbeitendes Serviceteam. Denn Hirschers Körperbau, der ihn auch der nahezu perfekte Athlet werden ließ, der lässt sich nicht nachahmen.

Artikelbild: GEPA