Die Tops und Flops der WM in Katar

Mit dem heutigen Finale geht die Fußball-WM 2022 in Katar zu Ende. Selten hat es vor einer Weltmeisterschaft wohl so viel Gesprächsstoff gegeben, wie bei der diesjährigen. Sportlich gab es die ein oder andere Überraschung, sowohl im Positiven, als auch im Negativen. Die Highlights der WM 2022 kurz zusammengefasst.

Tops

Marokko

Die „Löwen vom Atlas“ haben sich in Katar zu einer der größten Sensationen in der WM-Geschichte gemausert. Auf der Rechnung hatte den 22. der FIFA-Weltrangliste trotz Stars wie Achraf Hakimi oder Hakim Ziyech niemand, denn selbst beim Afrika-Cup sind Erfolge der Marokkaner rar gesät (einziger Triumph 1976). Obendrein übernahm Walid Regragui erst Ende August das Teamchef-Amt. Umso erstaunlicher war der einzigartige Erfolgslauf, der Marokko nun offiziell als erfolgreichste afrikanische Mannschaft bei einer WM ausschildert.

Kroatien

Die kleine Nation von der Adria hat keine vier Millionen Einwohner und ist dennoch Fixbestandteil in der Fußball-Weltspitze. Das hat der Vize-Weltmeister von 2018 auch in Katar wieder bewiesen. Mit Glück und viel Können kam das Team von Zlatko Dalic erneut unter die besten Vier und eliminierte dabei im Viertelfinale WM-Favorit Brasilien im Elfmeterschießen – offenbar eine Spezialität der Kroaten. Bei den letzten beiden Endrunden mussten sie viermal in den ultimativen Showdown und behielten dabei viermal die Nerven.

Asien-Teams

Bei der zweiten WM-Austragung in Asien war der asiatische Fußballverband erstmals in der Geschichte mit drei Nationalmannschaften im Achtelfinale vertreten. Das sind so viele wie bei den vergangenen vier Turnieren insgesamt. In Katar qualifizierten sich Japan, Südkorea und Australien für die Runde der besten 16, wo für das Trio allerdings das Aus kam.

Schiedsrichterinnen/Stéphanie Frappart

Erstmals in der Geschichte einer Männer-WM pfiff mit der 38-jährigen Französin eine Frau eine Partie. Es war das entscheidende Gruppenspiel zwischen Deutschland und Costa Rica. Neben Frappart waren auch die Japanerin Yoshimi Yamashita und Slima Mukansanga aus Ruanda im Referee-Aufgebot.

Torhüter-Leistungen

Patzer wie von Australien-Goalie Mathew Ryan im Achtelfinale gegen Argentinien oder von Kanada-Keeper Milan Borjan gegen Marokko waren bei der WM eher die Ausnahme. Umso mehr stachen Leistungen wie jene von Kroatiens Schlussmann Dominik Livakovic heraus, der sich gegen Japan als Elfmeterkiller vorstellte und Brasilien im Viertelfinale mit zahlreichen Paraden und einem gehaltenen Penalty zur Verzweiflung brachte. Auch Marokkos Yassine Bounou zeigte sich gegen Spanien (3 parierte Elfer) und Portugal in der K.o.-Runde unbezwingbar. Emiliano Martinez hatte am Erfolgslauf Argentiniens ebenfalls entscheidenden Anteil.

Kaum noch „Kleine“

Das 7:0 von Spanien gegen Costa Rica täuschte. „Abschusskandidaten“ gibt es bei der WM keine mehr. Allenfalls bei Katar musste man die Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Niveau infrage stellen. Dafür kamen aus allen Kontinenten Teams weiter. Das heißt aber noch nicht, dass die ehemals Kleinen nun Große sind: Im Viertelfinale waren mit Ausnahme von Überraschungsteam Marokko die Europäer und Südamerikaner dann doch wieder unter sich.

Disziplin

Gemessen an den ausgeteilten Karten haben sich die WM-Kicker nahezu durchwegs diszipliniert und fair präsentiert. Nur eine Rote und zwei Gelb-Rote Karten gab es bis zum Finale in 63 Spielen (!).

Messi

Entspannt und fokussiert wie noch nie bei einer WM verzauberte Lionel Messi die Fans. Bis auf den Auftakt mit dem 1:2 gegen Saudi-Arabien wurde Argentiniens Superstar bei seiner letzten WM den Erwartungen mehr als gerecht. Die Mannschaft setzt sich dennoch mit Siegen gegen Mexiko und Polen als Gruppenerster durch. Es folgte ein Sieg im Achtelfinale gegen Australien in Messis 1000. Profispiel. Zum ersten Mal traf er in der K.o.-Runde. Im Viertelfinale gegen die Niederlande setzt sich Argentinien im Elfmeterschießen durch, im Halbfinale war Messi für Kroatien zu stark. Er traf bis zum dahin fünften Mal und zog mit bis zum Finale elf WM-Toren an Argentiniens WM-Rekordschütze Gabriel Batistuta vorbei.

Sturm-Duo Mbappe/Giroud

Der Ausfall von Karim Benzema wenige Tage vor WM-Beginn ließ Frankreichs Fans Schlimmes befürchten. Doch der Stürmer von Real Madrid sollte nicht vermisst werden. Superstar Kylian Mbappe und Benzemas Ersatzmann Olivier Giroud sprangen in die Bresche, erzielten bis zum Finale gemeinsam neun der insgesamt zwölf Tor der Equipe Tricolore. Vor allem der Auftritt des 36-jährigen klassischen Mittelstürmers Giroud, der im Team schon als Auslaufmodell galt, sorgte für Aufsehen.

Flops

Deutschland

Die DFB-Auswahl verpasste als Gruppendritter wie schon 2018 das Achtelfinale. Nach einer 1:2-Auftaktniederlage gegen Japan stand die Truppe von Hansi Flick von Beginn an unter Druck, es folgte ein 1:1 gegen Spanien und ein letztlich nicht mehr ausreichendes 4:2 über Costa Rica. Teammanager Oliver Bierhoff nahm nach 18 Jahren den Hut, Flick bleibt dennoch im Amt und soll das Team auf die Heim-EM 2024 vorbereiten.

Belgiens „Goldene Generation“

Die großen Namen machten Belgien wieder einmal zum Geheimfavoriten. Diesem Status wurde das in die Jahre gekommene Ensemble des Weltranglisten-Zweiten überhaupt nicht gerecht. Nach einem schmeichelhaften 1:0 gegen Außenseiter Kanada und einer völlig verdienten 0:2-Pleite gegen Marokko reichte ein 0:0 gegen Kroatien nicht zum Aufstieg. Der Zenit der Generation um Kevin De Bruyne könnte nach WM-Rang drei 2018 überschritten sein. Kapitän Eden Hazard hat seine Nationalteam-Karriere bereits beendet.

Gastgeber-Team Katar

Katars Nationalteam war bei der Heim-WM trotz langer und exklusiver Vorbereitungszeit nicht konkurrenzfähig. Es ging mit drei klaren Niederlagen gegen Ecuador (0:2), Senegal (1:3) und die Niederlande (0:2) als bisher schwächster Gastgeber in die WM-Geschichte ein. Teamchef Felix Sanchez sieht den Fußball im Emirat zwar auf einem guten Kurs. Sportlich scheint aber noch ein weiter Weg zu gehen. Dass die lautesten Stadion-Stimmungsmacher für Katar im Ausland eingekauft worden sein sollen, passt ins Bild.

„One Love“-Kapitänsschleife

Eine ganze Reihe an europäischen Teams hatte vor dem WM-Turnier angekündigt, dass ihre Kapitäne die bunte Schleife in Katar aufs Feld tragen werden. Diese steht für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Man wollte damit ein Zeichen setzen gegen die stark kritisierten Bedingungen im Gastgeberland rund um Menschenrechte, Frauen und die LGBTIQ*-Gemeinschaft. Die FIFA drohte unmittelbar vor Turnierbeginn mit Sanktionen für jene Spieler, die die Schleife tragen. Das zeigte Wirkung: Alle betroffenen Teams machten einen Rückzieher – kein „One Love“ in Katar.

FIFA-Boss Gianni Infantino

Mit seiner Rede, in der er vor WM-Beginn die westliche Kritik als „Doppelmoral“ westlicher Nationen bezeichnet hatte, hat sich der Schweizer wohl nur in Katar Freunde gemacht. Auch die scharfen Sanktionsandrohungen für den Fall, dass Spieler mit der „One-Love“-Kapitänsschleife einlaufen, sowie die beschwichtigende Haltung rund um Todesfälle auf den WM-Stadionbaustellen der Kataris haben für ungewöhnlich offene Unmutsäußerungen gesorgt.

Zuschauerzuspruch

Der große Fanmagnet war die erste WM im arabischen Raum nicht. Katar hat laut einem Bericht der WM-Organisation in den ersten zwei Wochen des Turniers knapp über 765.000 internationale Gäste begrüßt und damit klar weniger als jene 1,2 Millionen, die das Emirat für das gesamte WM angepeilt hatte. Danach war keine eklatante Steigerung mehr zu erwarten. Zudem ließ die Stimmung in den Stadien oft zu wünschen übrig. Vor allem, weil viele – meist europäische – Nationen von weniger Fans als sonst begleitet wurden.

Elfmeter-Schützen

Was haben Robert Lewandowski, Harry Kane, Virgil van Dijk, Lionel Messi, Marquinhos, Rodrygo oder Sergio Busquets gemeinsam? Sie alle haben bei der WM einen Elfmeter verschossen. Rund jeder dritte Penalty aus dem Spiel wurde in Katar vernebelt. Im Elferschießen lag die Quote des Scheiterns gar bei rund 40 Prozent (nach Viertelfinalspielen/keine Elferschießen in Halbfinali).

Cristiano Ronaldo

Es hatte sich ein bisschen angekündigt. Bei Manchester United spielte Portugals alternder Superstar schon in den Monaten vor der WM keine Rolle mehr. Das Zerwürfnis mit Trainer Erik ten Hag gipfelte in einer öffentlichen Abrechnung Ronaldos mit dem Club und wenige Tage vor WM-Beginn in der Trennung von den Engländern. In Katar traf der 37-Jährige Rekordtorschütze der Portugiesen beim Auftaktsieg über Ghana zwar noch, dann war aber Funkstille. In der K.o.-Runde verbannte Trainer Fernando Santos den Kapitän sogar auf die Bank. Als Joker blieb er gegen die Schweiz blass, auch beim Viertelfinalaus gegen Marokko konnte er im Finish nichts mehr beitragen.

Österreich-Gegner Wales und Dänemark

Als Halbfinalist der EM 2021 hatten sich die Dänen auch in Katar Chancen auf Erfolge ausgerechnet. Doch es kam ganz anders. Ein torloses Remis zum Auftakt gegen Tunesien sollte das höchste der Gefühle bleiben, nach dem 1:2 gegen Titelverteidiger Frankreich und einem enttäuschenden 0:1 gegen Australien kam das frühe Aus für die unter Ladehemmung leidenden Dänen, die Österreich in der Nations League zweimal geschlagen hatten. Auch Wales, im WM-Quali-Play-off gegen Rot-Weiß-Rot erfolgreich, hatte nichts zu melden. Ein mageres Elfmetertor von Altmeister Gareth Bale beim Auftakt-1:1 gegen die USA war das Highlight. Es folgten ein 0:2 gegen den Iran, das 0:3 gegen England und das frühe Aus.

Was sorgte für Gesprächsstoff?

Politische Statements

Die Politik spielte wie wohl noch bei keiner WM zuvor in vielen Bereichen eine Rolle. In Erinnerung bleiben vor allem die iranischen Spieler, die vor ihrem ersten Match bei der Nationalhymne geschlossen geschwiegen haben. Hintergrund waren die Unruhen im eigenen Land. Die Aktion stieß bei der Staatsführung wohl auf wenig Gegenliebe. Danach wurde mitgesungen, aber mit sichtbar wenig Freude. Auch das Bild der deutschen Nationalmannschaft mit der Hand vor dem Mund – als Reaktion auf die FIFA-Sanktionsdrohung bezüglich der „One Love“-Schleife – war ein Statement, das um die Welt ging.

Nachspielzeit

Schiedsrichterchef Pierluigi Collina hatte es angekündigt, und es wurde rigoros durchgesetzt. Sieben bis neun Minuten Nachspielzeit seien durchaus zu erwarten. Gesagt, getan. Die vielen Jubel-Szenen, Verletzungen, Platzverweise etc. wurden nachgespielt, Zeitschinden brachte da nichts. So wurden beim zweiten WM-Spiel England – Iran (6:2) insgesamt sogar 24 Minuten (14 nach der ersten, zehn nach der zweiten Hälfte) angehängt.

(APA) / Bild: Imago