Am Ziel aller fußballerischen Träume: WSG Tirol und ihre verrückte Reise durch die österreichische Bundesliga

Die WSG Tirol steht in der Meistergruppe, ja richtig gelesen in der MEISTERGRUPPE und damit – das ist schon jetzt klar – auch in der kommenden Saison Teil der österreichischen Fußball-Bundesliga. Ganz bestimmt hätte man sich mit einer Wette auf eine WSG in den Top 6 den ein oder anderen Euro dazu verdienen können.  Die Tiroler waren von Anfang an „Abstiegskandidat Nummer 1“. Das haben Silberberger und Co auch ganz offen gesagt und diese Rolle von Anfang an angenommen.

Um einen sportlichen Vergleich zu ziehen: Dass die WSG in die Meistergruppe kommt, war vor der Saison ungefähr so wahrscheinlich wie, dass Tom Brady in seiner ersten Saison mit den Tampa Bay Buccaneers den Super Bowl gewinnt – aber wie wir heute natürlich wissen – sowohl Tom Brady als auch die WSG haben das Unmögliche möglich gemacht.

Es ist kurz vor 19 Uhr am Sonntag Abend als die Tiroler Gewissheit haben, als klar ist, dass sie die Sensation perfekt gemacht haben.

Hallo Bundesliga

Aber jetzt mal von Anfang an – vor knapp zwei Jahren schaffen die Tiroler nämlich auch schon etwas, das ihnen kaum jemand zugetraut hätte – sie steigen in die Bundesliga auf. Mit sechs Siegen (in Serie) im Saisonfinale überholen die Tiroler die favorisierten Rieder und erfüllen damit den Traum von Präsidentin Diana Langes – die WSG zur Nummer 1 in Tirol zu machen. (Wacker Innsbruck ist wenige Wochen zuvor nach nur einem Jahr wieder aus der Bundesliga abgestiegen)

Nach dem letzten Spiel in Horn brechen bei den Kristallkickern, den mitgereisten Familien und Fans alle Dämme, die nachfolgende Busfahrt zurück nach Wattens vergisst wohl keiner mehr. Busfahrer „Sisi“ blockiert kurzzeitig den Verkehr, weil er im Kreisverkehr bei der Wattener Autobahnabfahrt mehrere Runden hintereinander in die falsche Richtung fährt. Am Sonntag darauf geht es mit dem Traktor durch Wattens, die frischgebackenen Bundesligakicker feiern ausgelassen. Viele aus der Mannschaft inklusive Trainer sind mit dem Verein den Weg von der Regionalliga in die höchste Spielklasse mitgegangen, für sie erfüllt sich ihr wohl größter sportlicher Traum.

‚Ana von uns‘ mit Benjamin Pranter und Florian Toplitsch

Tirol hat also trotz des Abstiegs von Wacker Innsbruck eine Bundesliga-Mannschaft. Für die WSG beginnt das Abenteuer Bundesliga übrigens nicht als WSG Wattens, sondern als WSG Tirol, wie die Silberberger-Truppe von Sommer 2019 an heißt.

WSG Tirol: Angekommen in der tipico Bundesliga

Auf ins Abenteuer Bundesliga

Die Tiroler starten furios, feiern zum Auftakt einen 3:1-Sieg gegen die Wiener Austria. Der Fußballherbst verläuft für die WSG dann so wie es wohl von sehr vielen auch erwartet wurde – die WSG ist (außer zu Beginn) immer im hinteren Tabellendrittel zu finden, sechs Niederlagen in Folge sorgen dafür, dass die Silberberger-Elf mit der roten Laterne überwintert.

Routine – die vermeintlich große Trumpfkarte?

Klar ist damit, dass im Winter etwas passieren muss. Viel zu oft agieren die Tiroler viel zu naiv, man merkt der Mannschaft von Thomas Silberberger in jedem Spiel an, dass sie wenig Bundesliga-Erfahrung in ihren Reihen hat. Die WSG-Führung holt mit Fabian Koch, Stefan Maierhofer, Bruno Soares und Thanos Petsos klingende Namen mit viel Routine, aber wenig Spielpraxis. Zunächst scheint der Plan aufzugehen. Die Tiroler holen sieben Punkte aus den ersten vier Spielen, überholen zwei Teams und gehen als Zehnter in die Qualifikationsrunde, doch dann kommt Corona.

Coronapause und der Motorradunfall

Der Sieg in Hartberg sollte für fast drei Monate das letzte Pflichtspiel für die WSG Tirol sein. Die österreichische Fußballbundesliga pausiert aufgrund der Coronapandemie. In Tirol sind die Quarantänebestimmungen noch strenger als im Rest Österreichs. An ein Mannschaftstraining ist nicht zu denken.

Lange ist nicht klar, ob die Meisterschaft zu Ende gespielt werden kann, schlussendlich wird dann festgelegt, dass die Liga ab Juni unter strengen Auflagen fortgesetzt wird. Zehn Runden innerhalb eines Monats, zehn Runden, die im Fall der WSG über Klassenerhalt oder Abstieg entscheiden. Gleich zum Auftakt kassieren die Tiroler eine empfindliche 0:5-Pleite gegen den SKN St. Pölten.  Thomas Silberberger sieht die Partie von seinem Krankenbett aus. Der Coach der Tiroler hatte wenige Tage zuvor einen schweren Motorradunfall, bei dem er einen offenen Bruch erleidet. Silberbergers Fuß muss im Laufe der folgenden Tage mehrere Male operiert werden, trotzdem reist er schon zehn Tage nach dem Unfall – begleitet von einem Arzt, der ihm mehrmals täglich die Verbände wechselt – mit seiner Mannschaft zum Auswärtsdoppel in die Südstadt und nach Wien Favoriten.

Dass das schon mehr als nur ein bisschen verrückt ist, weiß Silberberger selbst. Die Ärzte – so sagt er – haben ihm „natürlich davon abgeraten“. Aber alles andere als, dass er trotzdem mit dabei sein will, würde nicht zu Thomas Silberberger passen.

Auch wenn der Coach also wieder „an Bord“ ist und auf einem Bein die Outlinie auf und ab tigert muss die Mannschaft unter der Woche großteils ohne ihren Chef auskommen und das – ist sich Silberberger heute sicher – „kann nicht funktionieren“. Vor dem letzten Spieltag liegt die WSG auf dem 12. Tabellenplatz, es kommt zum großen Showdown mit dem direkten Konkurrenten Admira. Die Tiroler haben über 90 Minuten hinweg mehrere Topchancen, können aber keine davon nützen. Die Partie endet 0:0-Unentschieden, die WSG steigt am 4. Juli 2020 nach nur einem Jahr wieder aus der Bundesliga ab. Thomas Silberberger ist an diesem Abend ein gezeichneter Mann, der noch dazu zu diesem Zeitpunkt nach wie vor mit seiner schweren Verletzung zu kämpfen hat. Später spricht er von einem der schlimmsten Tage seines Lebens. Oft und oft wird er diesen 4. Juli noch zitieren – immer wieder wird er in der Folge in Interviews sagen: „Wenn mir am 4. Juli jemand gesagt hätte“ oder ähnliches. Natürlich hätte an diesem 4. Juli niemand gedacht, dass das Kapitel Bundesliga für die WSG noch lange nicht beendet ist.

Zurück in Liga 2?

WSG Präsidentin Diana Langes weilt im Sommer, als es an die Planungen für die neue Saison geht in ihrer zweiten Heimat, dem spanischen Ferienort Marbella. Silberberger und Köck steigen also in den Flieger. Wobei man erwähnen muss, dass Köck den noch immer nicht wieder mobilen Silberberger im Rollstuhl durch den Münchner Flughafen und rein in den Flieger schiebt. Angesagt sind Planung für Liga 2, bzw. die Frage wie es denn eigentlich weiter geht. Was von Anfang an klar ist: Während Trainer und Sportdirektor sich sehr wohl fragen ob sie noch die richtigen Personalien für ihre jeweiligen Jobs sind, zweifelt die Präsidentin trotz des sportlichen Abstiegs keine Sekunde lang am Duo Silberberger/Köck.

Die Causa Mattersburg und die zweite Chance

Am 15.07.2020 ändert sich alles. Mattersburg gerät durch den Commerzialbankskandal in arge finanzielle Nöte, die WSG darf auf ein weiteres Jahr Bundesliga hoffen.

Als immer unwahrscheinlicher wird, dass Mattersburg in der Liga bleibt, beginnt für die WSG-Führung eine nach eigenen Aussagen mühsame und kräftezehrende Zeit. Stefan Köck und Co sind die Hände gebunden, eine Planung ist nicht möglich. Offiziell planen die Tiroler für beiden Ligen, Silberberger gibt aber schon zu, dass man sehr bald „hauptsächlich“ für Liga 1 geplant hat, weil man sich „nicht vorstellen konnte, wie das für den SVM zu stemmen sein soll“.

Transfers jedenfalls können die Tiroler in dieser Zeit keine tätigen. Köck: „Für uns wäre es in jedem Fall einfacher eine Mannschaft für die Bundesliga zusammen zu stellen als für die zweite Liga.“ Grund dafür: Weil viele Spieler nur einen Vertrag für die erste Liga haben, hat die WSG zu diesem Zeitpunkt 14 Spieler für die Bundesliga, aber nur fünf für die zweite Liga.

Am 05.08 hat die WSG Gewissheit. Die Tiroler bleiben erstklassig. Stefan Köck: „Wie ich schon öfters gesagt habe – ich mag es nicht, wenn es jemandem schlechter geht als uns und ich habe Mitgefühl mit dem SVM. Aber natürlich freue ich mich wahnsinnig, dass wir ein weiteres Jahr Bundesliga spielen dürfen.“ Die WSG hat nun noch einen Monat Zeit um eine schlagkräftige Mannschaft zusammen zu stellen.

Was die Wattener in den folgenden Tagen immer wieder betonen ist Folgendes: „Es gehören zu dieser Bundesliga-Geschichte zwei Faktoren, der sportliche und der wirtschaftliche. Wir haben sehr ordentlich gearbeitet, Mattersburg anscheinend nicht. Deshalb nützen wir und freuen uns auf diese zweite Chance.“

Trumpfkarte Jugend

Die WSG-Führung muss wie schon erwähnt in ziemlich kurzer Zeit eine schlagkräftige Mannschaft zusammenstellen. Silberberger und vor allem Manager Stefan Köck arbeiten rund um die Uhr. Bald zeichnet sich ein Strategiewechsel ab. Die Neuen sind allesamt nicht älter als maximal 23, unter den Abgängen befinden sich vier Akteure über 30. Stefan Köck stellt damals nüchtern fest, dass man sich um zehn Jahre verjüngt hat. Den Wattenern wird natürlich einiges an Skepsis entgegengebracht, wenige Monate später steht dann aber fest, dass die WSG-Verantwortlichen wohl ziemlich viel richtig gemacht haben.

Das zweite Jahr

Im September starten die Tiroler dann mit ihrer jungen Truppe in die Saison der zweiten Chance. Die WSG verliert in Runde eins zwar (sehr unglücklich) gegen Aufsteiger Ried, aber schon in diesem ersten Spiel der neuen Saison ist die Aufbruchstimmung zu spüren. Irgendetwas ist anders, der Auftritt ist frisch, frech und inspirierend. Natürlich dürfte sich auch der ein oder andere „na das geht ja schon wieder gut los“ gedacht haben, aber trotzdem spürt man, dass sich vieles verändert hat. Und dieses Gefühl sollte sich bestätigen, die Tiroler holen aus den zwölf Herbstpartien fünf Siege und zwei Remis, überwintern damit auf dem fünften Tabellenplatz – also in der Meistergruppe. Im Frühjahr sieht es zunächst danach aus als würden sich die Kristallkicker mit großen Schritten den Top 6 nähern. Dann aber – quasi kurz vor der Ziellinie – kommt die erste schwächere Phase der WSG. Sechs Spiele ohne Sieg sorgen dafür, dass die Tiroler zwei Runden vor der Punkteteilung erstmals seit November nicht unter den Top 6 zu finden sind.

Silberberger: „Kein Mensch hätte gedacht, dass wir etwas mit Spitzensport zu tun haben“

Das „Grande Finale“ – An Spannung kaum zu überbieten

In Runde 21 kehren die Tiroler spät aber doch auf die Siegerstraße zurück, bringen nach einem bärenstarken Auftritt mit drei Punkten aus Wolfsberg mit nach Hause und haben es plötzlich wieder in der eigenen Hand. Am Sonntag um 17:00 ist es dann soweit – Showdown! Der WAC, Hartberg und eben die WSG kämpfen 90 Minuten lang um zwei Plätze in den Top 6. Jetzt gibt es ja immer wieder Fußballspiele, Schlussphasen und Szenen, die an Spannung kaum zu überbieten sind und einem deshalb immer im Kopf bleiben.

Die Sky-Konferenz vom Sonntagabend ist ganz bestimmt einer dieser Momente. Der WAC sorgt in Wien Favoriten schnell für Klarheit, beendet den Grunddurchgang auf Platz 5. Bleiben also noch die WSG und Hartberg. 75 Minuten lang sieht es gut aus für die Tiroler, dann dreht Hartberg die Partie gegen St. Pölten und plötzlich ist die WSG raus. Das Spiel gegen Rapid endet mit 1:1 – zu wenig.  In Hartberg ist aber noch nicht Schluss, in Minute 94 trifft Kofi Schulz zum 3:3 und kickt Hartberg damit in allerletzter Minute aus der Meistergruppe raus und die WSG in die Meistergruppe rein. WSG – Verteidiger Raffael Behounek hat bei den Abstaubern angekündigt, dass er ein Bild von Kofi Schulz in der Kabine aufhängen wird. Thomas Silberberger kündigt im Sky-Interview (natürlich mit einem Augenzwinkern) an Schulz im Sommer zur WSG holen zu wollen.

Silberberger: „Es war an Dramaturgie nicht zu überbieten“

Jedenfalls brechen danach alle Dämme, die Wattener haben das geschafft was ihnen niemand und wahrscheinlich nicht einmal sie selbst sich zugetraut haben – der Sprung in die Top 6 und damit wie schon zu Beginn erwähnt logischerweise schon jetzt das Ticket für eine weitere Saison in der österreichischen Bundesliga.

Seit dem Aufstieg vor nicht einmal zwei Jahren ist bei und rund um die WSG vielleicht mehr passiert als bei so manch anderem Verein in zehn Jahren, jedenfalls genug um das Ganze zu einem Fußballmärchen zu erklären.

von Lisa Insam