Koller: Niederlage gegen Island nicht wegen Systemumstellung

St. Denis/Paris (APA) – Die Enttäuschung war Österreichs Fußball-Teamchef Marcel Koller deutlich anzumerken, als er am Mittwoch im Stade de France das frühzeitige EM-Ausscheiden seiner Mannschaft analysierte. Für den mit dem 1:2 gegen Island besiegelten Abschied aus Frankreich nannte der Schweizer mehrere Gründe – die überraschende Systemumstellung zählte der 55-Jährige aber nicht dazu.

Erstmals in seiner viereinhalbjährigen Amtszeit setzte Koller auf eine Dreierkette, außerdem stellte er David Alaba zwischen den beiden Flügelstürmern Marcel Sabitzer und Marko Arnautovic quasi als „falschen Neuner“ auf. Der gewünschte Erfolg dieser Maßnahme blieb aus, die Österreicher wirkten phasenweise desorientiert und brachten über weite Strecken keinen geordneten Spielaufbau zustande.

Koller: „Haben Chancen einfach nicht genutzt“

 

„Aber ich glaube nicht, dass es in der ersten Hälfte am System gelegen ist, sondern an der Hektik, weil wir nicht kombiniert haben. Das hat nichts mit dem System, sondern mit Nervosität zu tun“, beteuerte Koller.

Doch erst nach dem Seitenwechsel und der Rückkehr zum gewohnten 4-2-3-1 sah man von den ÖFB-Auswahl erstmals bei dieser EM, über welches Potenzial sie eigentlich verfügt. „In der zweiten Hälfte haben wir so gespielt wie in der Qualifikation, leider hat es nicht mehr gereicht“, erklärte Koller.

Den schnellen Turnier-Abschied seines mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten Teams wertete Koller nicht als persönliches Scheitern. Vielmehr hob der Nationaltrainer die wichtigen Erfahrungen hervor, die seine Kicker in Frankreich gesammelt hätten. Eine Erkenntnis daraus lautete: „Man muss absolut topfit sein, um auf diesem Level mithalten zu können.“

 

 

Außerdem habe man schmerzhaft vor Augen geführt bekommen, dass man mit den Chancen viel effizienter umgehen müsse, betonte Koller auch mit Blick auf den von Aleksandar Dragovic gegen Island vergebenen Penalty. Vor der Partie hatte der Trainer den Innenverteidiger und Alaba als Elferschützen bestimmt. „Die zwei sollten sich abmachen, wer schießt, je nachdem, wer sich besser fühlt“, erzählte Koller.

Dragovic schnappte sich den Ball und traf nur die linke Stange. Schuldzuweisungen gab es von Koller aber nicht. „Er hat die Verantwortung übernommen. Wir können ihm sicher keinen Vorwurf machen.“ Auch über den nicht gegebenen Elfer nach Foul an Sabitzer oder das ständige Zeitschinden der Isländer zu jammern, bringe nichts, meinte der Coach.

Enttäuschung beim Public Viewing in Wien

 

Immerhin habe es für das ÖFB-Team noch einige Möglichkeiten gegeben, die Partie zu gewinnen und damit ins Achtelfinale am Montag in Nizza gegen England einzuziehen. „Aber wenn zehn Mann am eigenen Sechzehner stehen, ist es schwierig, durchzukommen. Es war immer noch ein Bein oder Körper dazwischen“, sagte Koller.

Die Österreicher scheiterten jedoch nicht nur an der gegnerischen Abwehrmauer, sondern auch an der eigenen Nervosität, wie der Nationaltrainer anmerkte. „Das ist eine individuelle Sache. Fußball hat viel mit Selbstvertrauen zu tun. Wir müssen Selbstvertrauen aufbauen und es mit guten Spielen und Ergebnisse wieder stärken“, forderte Koller.

Spieler verteidigen Systemänderung

Dennoch wollten die ÖFB-Internationalen die überraschende Systemänderung nicht als Grund für die Niederlage werten. So meinte etwa Florian Klein: „Man kann es auch positiv sehen. Wenn es einmal in den ersten Spielen spielerisch nicht so läuft, dann ist es vielleicht auch eine Stärke zu sagen, man stellt ein bisschen etwas um.“

Im Nachhinein sei man immer klüger, so der Rechtsverteidiger. „Nach dem Spiel, wenn man ausgeschieden ist, kann man auch sagen, man hätte an dem Alten, Bewährten festhalten können. Aber die Umstellung war sicher nicht das Ausschlaggebende.“

Fuchs: „System hin oder her“

Eine ähnliche Ansicht vertrat Kapitän Christian Fuchs. „System hin oder her – wir mussten zwei Tore schießen, eines ist uns gelungen.“ Die deutliche Steigerung nach dem Seitenwechsel sei nicht nur mit der Rückkehr zum bekannten System zu erklären, „sondern weil wir Gas geben wollten“, sagte der Profi von Leicester City und ergänzte: „Man hat schon gesehen, dass wir auch in der ersten Hälfte unsere Chancen hatten und dass es schon funktioniert hat.“

Möglichkeiten auf einen Sieg habe es unabhängig von der Aufstellungsvariante zur Genüge gegeben. „Wir haben wieder aus unseren Chancen nichts Zählbares herausgeholt, sogar einen Elfmeter verschossen. Viel größer werden die Chancen nicht“, meinte Fuchs.

Julian Baumgartlinger begründete das Scheitern gegen Island ebenfalls eher mit der schlechten Abschlussquote vor dem gegnerischen Tor als mit dem Spielsystem. „Man kann es nicht grundsätzlich auf das System schieben. Dadurch, dass es prinzipiell funktioniert hat, war es nicht das Hauptproblem“, vermutete der Deutschland-Legionär. „Es hat andere Probleme gegeben, und da muss man wieder auf die Effizienz kommen.“

Dass es aber nach dem Comeback des 4-2-3-1 wieder besser lief, blieb auch Baumgartlinger nicht verborgen. „Natürlich fühlt man sich in dem System, das man vier Jahre lang spielt, sehr wohl. Das hat man auch in der zweiten Hälfte gesehen, dass da Automatismen drin waren“, erklärte der Mittelfeldspieler.

Almer: „Wir haben es trainiert“

Mit einer ähnlichen Variante wie zu Beginn gegen Island spielte das ÖFB-Team unter Koller nur einmal – beim 14:0 im Test gegen den Schweizer Sechstligisten Schluein im Mai. „Aber wir haben es nach dem Portugal-Spiel probiert und trainiert“, erzählte Goalie Robert Almer.

Sinn der Systemänderung sei es unter anderem gewesen, auf das „Kick and Rush“ des Gegners zu reagieren. „Wir haben gewusst, dass die Isländer mit vielen langen Bällen arbeiten und mit Einwürfen. Wir haben mit der Dreierkette versucht, die aus dem Spiel zu nehmen“, erklärte Almer. Zumindest beim ersten Gegentor ging dieser Plan nicht auf.