Rybakina und die Russland-Frage – „Repräsentiere Kasachstan“

Beim Gedanken an ihre Eltern hat Jelena Rybakina doch noch große Emotionen gezeigt. Nach gebremster Freude über den überraschenden Wimbledon-Triumph auf dem Platz flossen bei der gebürtigen Russin in der Pressekonferenz plötzlich die Tränen – die Fragen nach Russland und Wladimir Putin beantwortete die 23-Jährige dagegen stoisch. „Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, dass ich Kasachstan repräsentiere. Ich habe mir nicht ausgesucht, wo ich geboren wurde.“

Wegen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine waren Profis aus Russland und Belarus in Wimbledon ausgeschlossen gewesen. Die Debatte, dass damit Topspieler wie Daniil Medwedew fehlten und die Organisationen ATP und WTA als Reaktion keine Weltranglistenpunkte vergaben, bestimmte lange die Schlagzeilen vor dem Turnier.

Dass eine aus Moskau stammende Spielerin die Frauen-Konkurrenz gewann, versah das Turnier auch zum Abschluss mit einer politischen Note. Rybakina tritt seit 2018 für Kasachstan an. „Wimbledon ging mit genau dem Bild zu Ende, dass es so verzweifelt zu verhindern versucht hatte“, schrieb der britische „Telegraph“ und skizzierte den Moment, als Herzogin Kate die Venus-Rosewater-Dish als Trophäe an Rybakina übergab. „Dieses Damen-Finale brachte eine Foto-Gelegenheit, die jeden in der russischen Botschaft in London brüllend über seine Wodka-Gläser lachen ließ.“

Nationenwechsel und Russland-Glückwünsche

Rybakina war nach ihrem Drei-Satz-Finalsieg gegen die Tunesierin Ons Jabeur zum wiederholten Male gefragt worden, ob sie den Angriffskrieg Russlands und die Taten Putins verurteile. „Menschen haben an mich geglaubt. Kasachstan hat mich so sehr unterstützt. Auch heute gab es so viel Unterstützung, ich habe die Flaggen gesehen“, antwortete sie ausweichend. „Ich weiß nicht, wie ich diese Fragen beantworten soll.“ Angesprochen auf den Krieg hatte sie zuvor im Turnier gesagt, dass sie wolle, dass dieser so schnell wie möglich zu Ende sei. Ukrainische Spielerinnen wie Lessia Zurenko hatten während Wimbledon emotional über ihre Sorgen um die Familie in der Heimat berichtet.

Wie mehrere andere Spitzenprofis hatte Rybakina unter anderem auch wegen der Aussicht auf eine stärkere Förderung lange vor dem Krieg die Nation gewechselt. Den kasachischen Tennis-Verbandspräsidenten Bulat Utemuratow umarmte sie auf der Tribüne. Das Staatsoberhaupt des zentralasiatischen Landes, Kassym-Schomart Tokajew, gratulierte aus der Ferne zu einem „historischen Sieg“ und dem ersten Grand-Slam-Einzeltitel für Kasachstan.

Auch aus Russland erhielt Rybakina schnell Glückwünsche für ihren Sieg. „Wir haben viel zu ihrer Entwicklung beigetragen“, sagte Schamil Tarpischtschew, Chef des russischen Tennisverbandes, der russischen Zeitung „Sport-Express“. „Gibt es Groll gegen sie? Nein. Das ist Sport. Jeder wählt seinen eigenen Weg. Das ist ihr Recht.“

Sie sei Kasachstan „dankbar“ für alles, betonte Rybakina. „Ich spiele sehr, sehr lange für Kasachstan. Ich repräsentiere es bei großen Turnieren, bei Olympia, als ein Traum wahr wurde“, sagte sie. Auf die Frage, ob sie befürchte, dass ihr Sieg in Russland politisch genutzt werden könnte, antwortete die Wimbledonsiegerin: „Ich weiß nicht, was passieren wird. Es wird immer einige Nachrichten geben, aber ich kann nichts deswegen machen.“

(APA)/Bild: GEPA