Syrien wahrt mit „Wunder von Teheran“ WM-Chance

Teheran (APA/dpa) – Als schon alles vorbei schien, stürmte Syriens Nummer neun plötzlich unbedrängt in den Strafraum. Von halbrechts zog Omar Alsomah ab. Mit einem „Gurkerl“ bezwang er den iranischen Tormann. Der Moderator des syrischen Fernsehens brach danach in frenetischen Jubel aus. „Toooooooooor“, schrie er ins Mikrofon, während sich syrische Fußballfans in aller Welt vor Freude in die Arme fielen.

Mit dem Ausgleich zum 2:2 in der 93. Minute im Teheraner Asadi-Stadion gegen die bereits qualifizierten Iraner wahrte Syriens Nationalteam die Chance auf die Weltmeisterschaft in Russland. Es wäre die erste WM-Teilnahme in der Geschichte des kriegsgeplagten Landes. In zwei Ausscheidungsspielen treffen die „Kasiun-Adler“ – benannt nach einem Gebirgszug im Zentrum Syriens – jetzt auf Australien. Für den Sieger dieses Duells geht es dann im November im interkontinentalen Play-off gegen den Vierten der Nord-, Mittelamerika- und Karibik-Zone (CONCACAF) um ein WM-Ticket für 2018.

Tor im VIDEO

Allein dass die Elf des Bürgerkriegslandes es so weit geschafft hat, ist eine Sensation, die viele Syrer kaum fassen können. In der WM-Geschichte schaffte es das Team bisher nur einmal in die Nähe einer Weltmeisterschaft – bei der Qualifikation für Mexiko 1986 verpasste Syrien die Endrundenteilnahme durch eine 1:3-Niederlage im entscheidenden Quali-Spiel gegen den Irak.

„Ich freue mich sehr“, schwärmte der Sportmoderator Masen al-Hindi. „Nach dem Ausgleich bin ich in Tränen ausgebrochen.“ Auf Syriens Straßen feierten die Fans mit Fahnen und Hupkonzerten. Und das Team sang nach dem Spiel tanzend in der Kabine: „Wir haben die Iraner zerrissen.“ Zuvor hatten die iranische Auswahl in den neun Spielen der entscheidenden Quali-Phase nicht einmal ein Tor kassiert.

Kommentator zuckt aus

An einen regulären Spielbetrieb in Syrien ist seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 nicht mehr zu denken. Wegen der Gewalt muss die Nationalelf ihre Heimpartien in Malaysia austragen, vor Geisterkulissen rund 7.500 Kilometer von der Heimat entfernt. Die besten Spieler verdienen ihr Geld im Ausland, viele in den reichen Golfstaaten Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait.

Als reichte all das nicht aus, um diesen Erfolg zu einer Sensationsgeschichte zu machen, erzielte ausgerechnet Omar Alsomah den Ausgleich kurz vor Schluss. Der 28-Jährige gilt als einer der besten Stürmer Asiens und damit als Topstar seines Landes, ein Idol für viele Syrer. Sagenhafte 75 Tore hat er in bisher 70 Spielen in der saudischen Topliga für Al-Ahli Jedda erzielt.

Nach dem Gewinn der Westasienmeisterschaft in Kuwait 2012 hielt Alsomah aber auf dem Spielfeld die Fahne der Aufständischen in die Höhe – ein Affront gegen die Regierung, die auch den syrischen Fußball kontrolliert. Fünf Jahre lang trat er nicht mehr im Team an, bis er vor kurzem überraschend zurückkehrte. Beide Seiten wollten sich wohl die einmalige Chance auf die WM in Russland nicht nehmen lassen.

Dennoch bleibt das Land nach mehr als sechs Jahren Bürgerkrieg zerrissen. Das gilt auch für die Nationalmannschaft – selbst wenn Sportmoderator Al-Hindi glaubt, dass das Team Unterstützer und Gegner von Präsident Bashar al-Assad zusammenbringt: „Das Match beweist, dass Fußball ein Spiel ist, das die Menschen vereint und nicht trennt.“

Davon wollen viele Anhänger der Opposition nichts wissen. Sie sehen in der Nationalelf einen Repräsentanten der verhassten Regierung. „Für mich sind die Spieler potenzielle Soldaten“, sagt Dschamal, ein 45-Jähriger aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Al-Bab im Norden Syriens. Einige scherzten, die Spieler des Irans – im Bürgerkrieg ein enger Verbündeter der syrischen Regierung – hätten den Ausgleich absichtlich kassiert.

Sollte sich Syrien gegen Australien durchsetzen, könnte als weitere Pointe erneut ein politisch aufgeladenes Spiel anstehen. Denn der Sieger der beiden Ausscheidungsspiele könnte es mit den USA zu tun bekommen. Und die Vereinigten Staaten haben im Bürgerkrieg lange die Rebellen unterstützt.