Wiesinger: „Mit Europa-League-Routine zum Meistertitel“

Im Sky-Interview spricht Philipp Wiesinger über die mentalen Herausforderungen der Corona-Pause, die Unterschiede zwischen seinem LASK und Salzburg und das Fehlen der Fans – für den Defensivmann gilt es, die Chance auf den Titel trotzdem wahrzunehmen.

Herr Wiesinger, nach langer Zeit des Wartens kann es in der Bundesliga wieder weitergehen. Wie erleichtert sind Sie?

Natürlich sehr. Ich glaube, da geht es jedem in der Bundesliga so. Vor allem die Unsicherheit und das über zwei Monate hinweg, war schwierig. Man will einfach wissen, wie und wann es weitergeht.

Bald geht es wieder ins Mannschaftstraining. Wie haben Sie die speziellen Bedingungen im Kleingruppentraining erlebt?

Die ersten zwei Wochen des Kleingruppentrainings habe ich aufgrund kleinerer Knieprobleme verpasst, musste also noch länger individuell trainieren. Seit vergangener Woche bin ich wieder mit den Kollegen auf dem Platz. Aus meiner Sicht haben sich alle an die Regeln gehalten. Zu Beginn wurden wir jeden Tag getestet, momentan jeden zweiten. Als es am Anfang einige leicht positive Tests gab, hat das schon seltsam gewirkt. Da habe ich mir gedacht: Man ist ja auch nicht leicht schwanger! Aber kurz darauf war dann zum Beispiel das Ergebnis von Joao Klauss wieder negativ, also alles in Ordnung. Auch für das Trainerteam war es aber schwierig, mit all den Auflagen die Übungen sinnvoll zu gestalten.

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Wie darf man sich das Training mit Abstand konkret vorstellen, wenn etwa keine Zweikämpfe und keine Kopfbälle möglich sind?

Da fällt schon einiges weg. Es gab viele Passübungen, Ausdauerparcours, Pressingsimulationen und Spielaufbauübungen. Im körperlichen Bereich wurde natürlich auch gearbeitet. Das ist alles nicht matchgetreu, aber mehr war eben nicht möglich. Den Spielern der anderen Vereine ist es nicht anders ergangen.

Zur Kontrolle war bei Ihnen sogar die Polizei zu Gast.

Ja, offenbar war jemand besorgt und hat angerufen. In den letzten Minuten eines Kleingruppentrainings haben Polizisten kontrolliert, ob wir die Abstände einhalten. Am Ende haben sie gesagt, dass alles passt.

Der offenbar besorgte Bürger konnte also beruhigt werden. Wie stehen die Meinungen innerhalb der Mannschaft? Gibt es gesundheitliche Bedenken, was die Wiederaufnahme des Spielbetriebs betrifft, wie sie etwa von manchen Spielern in anderen Ligen geäußert wurden?

Soweit ich weiß gibt es in den Familien unserer Spieler keine gefährdeten Personen aus Risikogruppen. Bedenken oder Ängste hat in unserer Mannschaft niemand geäußert. Was mental am schwierigsten war, war die Ungewissheit. Bei jedem Anzeichen auf einen Termin, an dem vielleicht wieder gespielt werden hätte können, ist eine gewisse Euphorie entstanden – kurz danach aber wieder die Ernüchterung. Es hat einfach das klare Ziel gefehlt. Natürlich fragt man sich permanent, worauf man hintrainiert.

Nun führt ja kein Weg daran vorbei, viele Spiele in verhältnismäßig kurzer Zeit zu absolvieren. Befürchten Sie durch die sprunghafte Belastungssteigerung eine größere Verletzungsgefahr?

Das spielt schon eine Rolle. Ich denke, vor allem für Vereine, die englische Wochen nicht so gewohnt sind oder einen kleineren Kader haben. Vielleicht ist es für uns ein kleiner Vorteil, dass wir englische Wochen durch die Erfahrungen in der Europa League kennen.

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So realistische Chancen wie Sie aktuell haben, Salzburg vom Meisterthron zu stoßen, hatte zu diesem Zeitpunkt der Saison ja schon seit Längerem keine Mannschaft mehr. Wie gehen Sie mit dem Wissen um, dass Sie die mögliche Sensation vor leeren Rängen feiern müssten?

Es ist schon eine komische Vorstellung ohne Fans zu spielen. Alleine schon beim Torjubel, auf den Zaun wird sicher keiner springen. Die Menschen im LASK-Umfeld warten schon lange auf so einen Erfolg. Schon gegen Manchester United (Wiesinger fehlte gesperrt, Anm.) in der Europa League hat die Mannschaft gemerkt, dass es ohne Zuschauer schwieriger ist – vor allem nach einem Rückstand. Die Fans sind einfach Teil des Ganzen. Wir hoffen ein wenig auf Lockerungen, was das Zulassen von Fans ins Stadion angeht. Trotzdem sind wir aber natürlich Profis genug, um unsere Chance auf den Meistertitel nutzen zu wollen.

Der LASK steht momentan für Konstanz. Verträge von vielen Leistungsträgern wurden immer wieder langfristig verlängert. Eine Tatsache, die Ihnen speziell in der aktuellen Situation ein gutes Gefühl gibt?

Die langfristige Planung ist schon wichtig. Wir haben das Gefühl, dass wir gemeinsam vieles erreichen können. Die Aufgaben sind klar. Alle wissen, wie das Rad läuft. Und wenn neue Spieler kommen, werden sie extrem schnell integriert. Marvin Potzmann ist ein gutes Beispiel. Zusätzlich geben die bestehenden Verträge den Spielern natürlich das Gefühl, dass sie sich keine Sorgen machen müssen.

Der LASK liegt in der Tabelle momentan vor Salzburg und das auch mit einigen Spielern, die für Red Bull augenscheinlich nicht interessant genug sind oder waren. Sie sind als langjähriger Salzburger Nachwuchs- und Liefering-Spieler das Paradebeispiel. Was macht im Umkehrschluss den LASK aus?

Das Konzept und das System sind auf das Team ausgerichtet, das macht uns Spieler besser. Vor einigen Jahren waren vor dem Training vielleicht zwei oder drei Spieler in der Kraftkammer um individuell an sich zu arbeiten. Mittlerweile ist dort die ganze Mannschaft zu finden – außer natürlich zuletzt in der Corona-Pause, als es nicht möglich war. Alle arbeiten hart am Erfolg. Jeder arbeitet für das Team an sich selbst.

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Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich damals (Anfang 2016; Anm.) für den Bundesligakader von Salzburg schon bereit war, die individuelle Qualität dort war enorm. Dann hat mich Oliver Glasner angerufen. Für mich war der Weg mit dem LASK der richtige.

Die Spielweise des LASK und jene von Red Bull Salzburg werden häufig verglichen. Schon in der Grundordnung bestehen aber zumeist große Unterschiede. Wo sehen Sie die größten Unterschiede?

Wir suchen nach Balleroberungen vielleicht noch schneller den Pass hinter die gegnerische Abwehr. Salzburg will das zwar auch, hat aber längere Ballbesitzphasen. Bei uns wird möglicherweise der Risikopass mit Gegenpressingfolge noch öfter gespielt. Wir wissen, dass vielleicht nur 30 Prozent davon ankommen, aber das gehört zu unserem Spiel. Man muss aber auch sagen, dass Salzburg unter Jesse Marsch gefühlt wieder direkter spielt, unter Marco Rose war alles etwas kontrollierter.

Neben dem LASK sind es dem Selbst- und Fanverständnis nach auch andere österreichische Großklubs wie etwa Rapid, die Austria und Sturm, die die Salzburger Titelserie seit Jahren natürlich gerne brechen würden. Was hat der LASK anderen momentan voraus?

Wir haben einen klaren Plan und der Verein hat vor allem an diesen Plan geglaubt. In der Anfangszeit von Oliver Glasner wurde an ihm festgehalten, was in der damaligen Situation vielleicht nicht jeder Verein so gemacht hätte (2015/16 wurde der Aufstieg in die Bundesliga noch verpasst; Anm.). Er hat sich nie zufrieden gegeben. Die Spielidee zieht sich mittlerweile auch durch die Akademie. Jeder weiß, was er zu tun hat. Wir glauben an unsere Spielweise, auch wenn es mal ein paar Spiele nicht so gut läuft. Die Spieler machen das System besser und umgekehrt. Es geht um Konstanz und Vertrauen, das zeigt auch die Langfristigkeit der Verträge. Und wenn neue Spieler kommen, überlegt sich der Verein sehr genau, wer geholt wird.

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Sie gelten als verlässlicher und ruhiger Spieler, stehen selten im Mittelpunkt. Im vergangenen November war Ihr Name erstmals auf der Abrufliste des Österreichischen Nationalteams. Erwarten Sie sich mehr Beachtung?

Im Nationalteam gibt es super Spieler aus Top-Ligen, dort herrscht ein ganz anderer Wettbewerb. Einige Spieler von uns (Trauner, Goiginger, Schlager; Anm.) waren ja auch schon dabei. Natürlich ist es ein Kindheitstraum und ein großes Ziel, irgendwann für das Nationalteam aufzulaufen. Aber es ist kein Thema, das mich andauernd beschäftigt. Ich versuche weiter an mir zu arbeiten und das Bestmögliche herauszuholen. Wenn dann vielleicht Einberufungen und Spiele für Österreich herauskommen würden, wäre ich natürlich sehr stolz.

Sie werden demnächst 26, Ihr Vertrag beim LASK läuft noch bis 2022. Aus der deutschen Bundesliga soll es schon Interesse an Ihnen gegeben haben. Auch wenn in der momentanen Gesamtsituation vieles unsicher ist, soll es in Ihrer Karriere eine Auslandsstation geben?

Es gab sicher Interesse, aber soweit nie ein konkretes Angebot, das dazu geführt hätte den LASK zu verlassen. Was sich hier in den letzten Jahren entwickelt hat, gibt man auch nicht so leicht auf. Ins Ausland zu gehen, ist aber sicher ein Ziel von mir. Da geht es nicht um eine konkrete Liga, sondern um den passenden Entwicklungsschritt. Als Spieler strebt man nach dem sportlichen Maximum, über ein Angebot aus einer Top-Liga wird man sich im Normalfall Gedanken machen. Ich will aber immer die Chance haben zu spielen, darum darf nichts auf Biegen und Brechen passieren. Ich weiß voll und ganz, was ich am LASK habe und fühle mich pudelwohl. Was meinen Vertrag betrifft, läuft nichts davon. Aber klar, den nächsten Karriereschritt hat man immer im Kopf.

Beitragsbild: GEPA