Was bleibt sind Narben – Ein Kommentar zur Eiszeit zwischen dem ÖSV & Fenninger

Ein Kommentar von Sky Sport News HD-Chefredakteur Peter Weihs zur Eiszeit zwischen dem österreichischen Skiverband und Anna Fenninger.

 

Der Graben zwischen dem Österreichischen Skiverband und seiner aktuell erfolgreichsten Läuferin Anna Fenninger ist mit den Anwaltsbriefen beider Seiten am Dienstag um ein weiteres Stück größer geworden. Wirklich unüberbrückbar ist er aber erst um exakt 19:11 Uhr geworden, als auf Anna Fenningers offiziellem Facebook-Account ein nie zuvor gesehener Rundumschlag gegen den ÖSV – insbesondere gegen Präsident Peter Schröcksnadel – veröffentlicht wurde (Artikel).

 

An diesem Punkt wurde die Grenze des Persönlichen überschritten. Ein Zeichen dafür, dass Anna Fenninger – wie sie auch schreibt – müde ist und nicht mehr kann. Wie verzweifelt muss eine – eigentlich – hochprofessionelle Sportlerin, die drei WM-Titel, zwei Gesamtweltcupsiege und einen Olympiasieg geholt hat sein, um an diesen Punkt zu kommen? Sehr! Doch die Verzweiflung wird auch nach diesem vermeintlichen Befreiungsschlag bleiben – und noch viel größer werden. Denn jetzt kann weder Fenninger noch der ÖSV einen Schritt retour. Heißt: es muss zur Trennung zwischen dem Verband und der Läuferin kommen. Ein anderes Szenario erscheint unmöglich.

 

Dass sich Fenninger jetzt – nach all den Streitereien und Konflikten der letzten Wochen und Monate – doch von ihrem Manager Klaus Kärcher trennt und in den Schoss des Verbands zurückkehrt, ist genauso wahrscheinlich, wie eine rasche Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea. Ein solcher Schritt würde den völligen Gesichtsverlust Fenningers bedeuten und all das, wofür sie zuletzt gekämpft hat, ad absurdum führen. Außerdem haben die letzten Ereignisse nicht nur auf der präsidialen Ebene des ÖSV massiven Schaden und einen Vertrauensverlust bewirkt, sondern auch und insbesondere dort, wo sich Fenninger beinahe das gesamte Jahr bewegt, nämlich im Team. Dort müsste zuerst wieder ein gegenseitiges Vertrauen – das bei einer Hochrisikosportart, bei der man mit bis zu 130 km/h den Berg hinunterrast, zwingend notwendig ist – erarbeitet werden. Und dann könnten sich Trainer und Betreuer erst wieder nicht sicher sein, ob ihre Topathletin oder deren Management von heute auf morgen einen neuen Streit vom Zaun bricht.

 

Genauso kann der ÖSV jetzt kein Zugeständnis in Sachen Mercedes Benz/Laureus machen. Denn dann könnten andere Athleten – berechtigt – Gleiches fordern. Eine Meuterei, die sich ohnehin bereits – noch sehr leise – anbahnt. So gibt es bereits aktive ÖSV-Athleten, die Fenningers Facebook-Posting nicht nur geliked haben, sondern sich auch in Kommentaren – mit ihren privaten Accounts – für Fenningers „Mut bedanken“. Ein solches Zugeständnis würde das gesamte – extrem hierarchische – ÖSV-System ins Wanken, wenn nicht gar zum Fallen, bringen. Ein System, das in den vergangenen Jahren viele große Erfolge begünstigt hat. Ein System, das es allerdings auch nicht schafft, permanenten Erfolg zu produzieren – man denke an die Ergebnisse der österreichischen Alpin Herren in Slalom und Riesentorlauf abseits von Ausnahmekönner Marcel Hirscher.

 

Und genau Hirscher ist es, der als Beispiel für Fenninger hätte dienen können. Der vierfache Gesamtweltcupsieger ist ein Grenzgänger zwischen dem System ÖSV und der Freiheit. Er vertraut darauf (oder nimmt in Kauf) vom Verband gemanagt zu werden und bekommt dafür extrem viele Freiheiten (auch vom Verband bezahlt). Hirscher hat mehr oder weniger sein eigenes Team mit dem er trainiert und nimmt an kaum einem ÖSV-Training teil. Aber er ist ein Gesicht, mit der Verband und seine Partner verlässlich werben kann. Auch hier gab es Reibereien und er nimmt sich selten ein Blatt vor den Mund, aber Zwistigkeiten werden – wenn sie auftauchen – intern geregelt.

 

Wie geht es also weiter? Karriereende, Nationenwechsel, ein eigenes Team Fenninger?

Anna Fenninger feiert am 18. Juni ihren 26. Geburtstag. Mit ihrem zweiten Weltcupgesamtsieg und zwei WM-Titeln in Vail/Beaver Creek hat sie einen neuen Höhepunkt ihrer Karriere erreicht. Ein Karriereende wäre bitter. Bitter für sie selbst, für ihre Fans, für den Skisport. Sollte sie sich trotz aller Beteuerungen, nicht für ein anderes Land als Österreich an den Start gehen wollen, doch an einen Nationenwechsel denken, würde dies einem Ende ihrer Karriere gleich kommen. Der internationale Skiverband FIS schreibt nämlich vor, dass sie zuerst zwei Jahre in dem Land leben muss, für das sie startet. Und einen Pass braucht sie auch. Zwei Jahre nur trainieren, ohne Rennen und damit auch ohne Preisgelder – unvorstellbar!

 

Bleibt also nur der Gang in die komplette Selbstständigkeit. Sprich: die Gründung eines „Team Fenninger“. Seitens des ÖSV besteht die Bereitschaft Fenninger mit einer österreichischen Rennlizenz auszustatten. Nur müsste Sie in Zukunft alles selber zahlen. Realistisch gerechnet würde so ein „Team Fenninger“ zwischen 300.000 und 500.000 Euro kosten. Ein Betrag, den Fenninger mit potenziellen Sponsoren und Unterstützern, leicht stemmen kann. Notfalls könnte sie diese Kosten sogar aus ihrer Preisgeldkassa bezahlen. In der vergangenen Saison fuhr sie alleine an Preisgeldern rund 412.000 Euro ein. Außerdem könnte Fenninger auch Trainingsgemeinschaften eingehen. Nichts Unübliches im Skiweltcup. Und egal ob es sich um das schweizerische, deutsche oder italienische Team handelt – eine Anna Fenninger als Trainingspartnerin (die auch noch einen Teil der Kosten trägt) hätten sie wohl alle gerne.

 

Fakt ist – der Ball liegt bei Anna Fenninger. Sie muss entscheiden, welchen Weg sie in Zukunft gehen will. Und egal wie diese Entscheidung ausfällt – es wird ein harter Weg. Denn eines darf man nicht vergessen: Der Mensch Anna Fenninger hat unter den ganzen Ereignisse der letzten Zeit gelitten. Die psychische Belastung war riesig. Ihr Facebook-Posting von Dienstagabend macht dies überdeutlich. Noch umgibt Fenninger das Flair der Rebellin, die sich gegen das System auflehnt, die es den „Alten Herren“ so richtig zeigt. Doch dieses Flair ist vergänglich. Und dann muss sie aufpassen, dass nicht nur die (seelischen) Narben bleiben, die der Frühsommer 2015 zweifelsfrei bei ihr hinterlassen werden.