England will gegen furchtlose Italiener 1966 vergessen lassen

Italien zum zweiten oder Premiere für England: Das Finale der EM zwischen zwei ausgewiesenen Fußball-Nationen verspricht am Sonntag (21.00 Uhr) ein Schlager zu werden. Die seit 33 Spielen ungeschlagene „Squadra Azzurra“ räumte auf dem Weg zur Titelentscheidung die größeren Brocken aus dem Weg, England darf im Wembley-Stadion ein echtes Heimspiel bestreiten. Über 60.000 wollen die Briten zur ersten Trophäe seit über 50 Jahren peitschen.

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Den legendären und beinahe mystisch verehrten WM-Titel 1966 könnte die aktuelle Generation der „Three Lions“ für jene Vergessen machen, die die Bilder von damals nur aus dem TV-Archiv kennen. „Es wird sehr hart gegen Italien. Wir spielen ein großartiges Turnier bis jetzt. Nun geht es zu Hause in einem Spiel um alles“, sagte Kapitän Harry Kane, dessen Treffer in der K.o.-Phase den Weg bereiteten. Die EM-Hits „Sweet Caroline“ und „Football’s Coming Home“ sollen auch Sonntagabend lautstark über das Wembley tönen.

Trainer Gareth Southgate war die riesige Euphorie um die Mannschaft aber auch ein wenig unheimlich. „Wir dürfen uns freuen, dass wir im Finale stehen. Aber es gibt noch eine riesige Hürde zu nehmen“, sagte der 50-Jährige nach dem 2:1 n.V. im Halbfinale gegen Dänemark. England hat noch nie ein Finale einer WM oder EM verloren – die Briten standen aber auch erst in einem. Der Grad ist außerdem schmal, trotz der aktuellen „Lionsmania“ (Daily Star) könnten bei einer Niederlage schnell wieder die Kritiker zu Wort kommen. Mittelfeldspieler Phil Foden meinte, man müsse trotz all der Euphorie fokussiert bleiben: „Wir müssen es so behandeln, als ob es das erste Spiel des Turniers wäre.“

Italien hat keine Angst, wie Mittelfeldspieler Marco Verratti betonte. „Wir sind es gewohnt, in solchen Stadien zu spielen, werden daraus Kraft beziehen“, sagte der Profi von Paris Saint-Germain. Verratti sprach von einem „historischen Finale“. Der vierfache Weltmeister Italien hat nur 1968 den EM-Titel geholt. Einen zweiten verhinderten Final-Niederlagen gegen Frankreich 2000 (1:2 nach Golden Goal) und Spanien 2012 (0:4). Im Wembley hat Italien bei diesem Turnier schon zwei Spiele mit Überstunden bestritten. Im Achtelfinale gegen Österreich gab es ein 2:1 n.V., im Halbfinale gegen Spanien ein 4:2 (1:1) im Elfmeterschießen.

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6.500 italienische Fans dürfen im Stadion sitzen. Aus der Heimat ist die Einreise für 1.000 gestattet. Eine diesbezügliche Vereinbarung sei mit den britischen Behörden getroffen worden, teilte der italienische Verband mit. Es gelten strenge Corona-Schutzmaßnahmen wie eine fünftägige Quarantäne nach der Rückkehr. Die Italiener wollen aus dem Auswärtsspiel auch Motivation ziehen.

„Wembley kann allen Angst machen, außer uns Italienern. Wenn es schwierig wird, wenn alle gegen uns sind, sind wir am stärksten“, sagte Ex-Teamspieler Marco Materazzi der „Gazzetta dello Sport“. Der Weltmeister von 2006 – fast besser bekannt durch seinen damaligen Disput mit Zinedine Zidane – vermutete viel mehr Druck für den Gastgeber. Verratti hielt ähnliches fest: „Sie verdienen es, im Finale zu stehen in einem Stadion, das sie gut kennen. Es wäre ein Traum, wenn wir in ihrem Stadion gewinnen.“

Doppelte Verlängerung für Italien macht Finale zur Kraftfrage

Österreich, Belgien, Spanien vs. Deutschland, Ukraine, Dänemark – die Namen der Gegner auf dem Weg ins Finale lassen darauf schließen, dass Italien die härteren Kontrahenten aus dem Weg räumen musste. Die Azzurri mussten dabei zweimal (Österreich, Spanien) in die Verlängerung, England nur gegen die Dänen. Die Kraftfrage dürfte eher für die Southgate-Elf sprechen. Roberto Mancinis Team scheint dem Kontrahenten aber spielerisch überlegen zu sein.

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Zur Kardinalfrage könnte werden, wie Italiens Haudegen Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci die englischen Spitzen Raheem Sterling und Harry Kane unter Kontrolle bringen. „Gegen Kane wird es sehr schwer. Er ist ein kompletter Spieler“, sagte Kapitän Chiellini. „Aber auch wir haben Qualität in allen Mannschaftsteilen.“ Die Squadra stünde dort, wovon Mancini schon zu Beginn seiner Amtszeit geredet habe. „Paradoxerweise haben auch wir ihn anfangs für verrückt gehalten, als er uns gesagt hat, dass wir uns in den Kopf setzen sollen, die EM zu gewinnen“, sagte der 36-Jährige über Mancini, der die Mannschaft nach der verpassten WM 2018 am absoluten Tiefpunkt übernommen hatte.

Bei Italien ruhen die Hoffnungen auch darauf, dass Ciro Immobile wieder seinen Torriecher findet. Der Mittelstürmer ist nach zwei Treffern in der Gruppenphase danach blass geblieben. Insgesamt zeigten die Italiener in der K.o.-Phase weniger Offensivdrang, aber auch ihre nach wie vor vorhandenen Qualitäten, ein Spiel kämpferisch und mit allen Mätzchen zu bestreiten. England hat im Turnierverlauf nur ein Gegentor aus einem direkt verwandelten Freistoß hinnehmen müssen. Zieht man das 4:0 im Viertelfinale gegen die Ukraine ab, haben die „Three Lions“ in den übrigen sechs EM-Spielen aber auch nur sechs Tore erzielt.

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England hat Italien in den jüngsten drei Duellen nicht besiegt. Im März 2018 gab es in einem Freundschaftsspiel im Wembley zuletzt ein 1:1. Am Sonntag soll alles anders sein. Auch Sir Geoff Hurst (79) drückt die Daumen. Dass die Weltmeister von damals ihr Alleinstellungsmerkmal gerne länger für sich beanspruchen würden, sei Nonsense, sagte der Dreifachtorschütze des Endspiels 1966. „Ich verstehe mehr als irgendjemand, wie wichtig der Erfolg unseres Nationalteams für die Mannschaft und für das Land ist. Die Freude, die WM im eigenen Land gewonnen zu haben, hält für ewig an.“

(APA).

Beitragsbild: Imago.