Moral nicht belohnt – Dortmund vor dem Aus

Ein nach dem Sprengstoffanschlag auf seinen Mannschaftsbus eine Halbzeit lang völlig verunsicherter Vizemeister Borussia Dortmund steht in der Champions League vor dem Aus. Die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel unterlag im Viertelfinal-Hinspiel trotz der bedingungslosen Unterstützung ihrer Fans und einer Leistungssteigerung nach der Pause AS Monaco mit 2:3 (0:2) und erwartet im Rückspiel im Fürstentum am 18. April eine ganz schwere Aufgabe.

Einen Tag nach der schockierenden Attacke mit einem vermutlich terroristischen Hintergrund schien sich anfangs alles gegen den BVB verschworen zu haben. Dem Führungstreffer des offensivstarken französischen Tabellenführers durch das 18 Jahre alte Wunderkind Kylian Mbappé (19.) ging eine klare Abseitsstellung voraus, beim 0:2 beförderte Sven Bender den Ball per Kopf ins eigene Netz (35.). Glück hatte der Fußball-Bundesligist allerdings, als Fabinho einen Foulelfmeter neben das Tor setzte (17.).

Ousmane Dembélé (57.) brachte den aufopferungsvoll kämpfenden Champions-League-Finalisten von 2013 zurück ins Spiel. Nach Mbappés zweitem Treffer (79.), sorgte Shinji Kagawa (84.) für neue Hoffnung.

Tuchel hatte schon vor dem Anpfiff ein schlechtes Gefühl gehabt und indirekt den Termin der Neuansetzung kritisiert. „Wir hätten uns gewünscht, mehr Zeit zu bekommen, das zu verarbeiten“, sagte der BVB-Coach bei Sky und beschrieb die unterschiedliche Gefühlslage bei seinen Spielern: „Es gibt Spieler, die haben es lockerer weggesteckt. Aber es gibt auch Spieler, die hat es sehr mitgenommen. Die sind nachdenklicher.“

Tuchel hatte es nach Angaben von Torwarttrainer Wolfgang de Beer jedem seiner Profis freigestellt, ob sie keine 24 Stunden nach der Attacke auf den Teambus mit drei Explosionen auflaufen. Als Schiedsrichter Daniele Orsato die Begegnung um 18.46 Uhr unter den Augen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und DFB-Präsident Reinhard Grindel anpfiff, waren alle dabei.

In den Stunden vor Spielbeginn hatte die Borussia große Solidarität erfahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm Kontakt zu BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf und sicherte den Westfalen ihre Unterstützung zu. Nach gut verlaufener Operation fieberte der bei dem Anschlag verletzte Marc Bartra (Bruch des Handgelenks) im Krankenhaus vor dem Fernseher mit.

„Egal, ob Borusse, Bayer oder Schalker. Wir wollen zeigen, dass Terror und Hass unser Handeln niemals bestimmen dürfen“, hatte Watzke vor der Partie erklärt. Der Ersatztermin am Tag nach dem Anschlag sei alternativlos gewesen, so Watzke: „Es ist unsere Aufgabe, das zu verarbeiten. Das ist unser Job.“

Tuchel hatte Matthias Ginter und Bender für Bartra und den angeschlagenen Gonzalo Castro in die Startelf beordert. Marco Reus stand nach überstandenem Muskelfaserriss erwartungsgemäß noch nicht im Kader.

Die BVB-Fans unter den 65.849 Zuschauern im ausverkauften ehemaligen Westfalenstadion trieben ihr Team von der ersten Minute frenetisch an. Doch die Gastgeber hatten große Mühe ins Spiel zu kommen, auch wenn sich Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang die erste Chance bot (11.).

Tuchel stand schon nach wenigen Minuten an der Seitenlinie, dirigierte lautstark und versuchte sein Team anzutreiben. Es half zunächst nichts. Thomas Lemar köpfte noch freistehend drüber (12.), dann konnte Sokratis den schnellen Mbappé nur durch in Foul stoppen. Fabinho vergab die Chance zur Führung aber kläglich.

Der verschossene Elfmeter gab den Dortmundern aber nicht den erhofften Auftrieb. Nur zwei Minuten später lagen die Gäste, die in 31 Ligaspielen bereits 88 Treffer erzielt haben, doch in Führung. Bei Lemars Flanke stand der Torschütze aber deutlich im Abseits. Monaco blieb danach durch seine Konter das gefährlichere Team und hatte erneut Glück. Eine Flanke von Andrea Raggi beförderte Bender aus sechs Metern ins eigene Netz.

Tuchel setzte nach der Halbzeit alles auf eine Karte. Für Bender und Kapitän Marcel Schmelzer kamen Nuri Sahin und Christian Pulisic. Der BVB erhöhte den Druck und kam durch Dembélé zum Anschlusstreffer. Monaco kam kaum noch über die Mittellinie, hatte aber die Riesenchance zum 3:1, als Radamel Falcao (75.) über das leere Tor schoss. Kurz darauf schlug dann Mbappé nach einem schlimmen Fehlpass von Lukasz Piszczek zu – doch Kagawa gelang Schadensbegrenzung.

Stimmen zum Spiel:

Tuchel: „Es geht auch um unseren CL-Traum“

Tuchel über Neuansetzung: „Wurden per SMS informiert“

Thomas Tuchel (Trainer Borussia Dortmund)
… zum Spiel: „Ich fand die zweite Halbzeit sehr gut. Die erste Halbzeit war nicht so gut, aber es war auch ein ganz bitterer Verlauf für uns. Das erste Tor war Abseits, das muss man sehen. Insgesamt kann man von zwei Eigentoren und einem Abseitstor sprechen. Es ist nicht für uns gelaufen. Leider hatten wir heute den Spielverlauf nie auf unserer Seite.“

… zur schwierigen Aufgabe am heutigen Tag: „Es hat viel Mut und Courage erfordert. Das haben wir heute gezeigt. Es ist nicht vergessen und nicht verarbeitet. Wir hätten uns gewünscht, mehr Zeit zu haben. Es geht hier einerseits um Verarbeitung, aber auch um unseren Champions-League-Traum. Wir werden uns nochmal schütteln, und wir haben keine Lust rauszugehen.“

… zur Ausgangsposition: „Im Rückspiel haben wir natürlich eine große Aufgabe. Aber es ist Halbzeit und wir liegen 2:3 zurück. Mal schauen, wir werden auf jeden Fall weiter dran glauben und alles versuchen.“

Weigl grüßt verletzten Bartra: „Für dich gekämpft!“

Julian Weigl (Borussia Dortmund)
… zum Spiel: „Am Anfang hat man es stark gemerkt. Wir konnten nicht so frei spielen, wie wir das eigentlich können. Zum Glück haben wir uns dann ein Stück weit davon gelöst. In der zweiten Halbzeit haben wir dann einfach die Köpfe ausgeschaltet, Gas gegeben und zum Glück noch ein relativ ordentliches Ergebnis gestalten können.“

… zu seinen Emotionen: „Es bestand ja keine andere Möglichkeit. Es war natürlich schon schwierig für uns. Die meisten Jungs haben wie ich auch nur wenig geschlafen. Es gibt nicht den goldenen Weg, wie man damit umgehen kann, weil es für jeden das erste Mal war. Ich habe versucht, die Zeit mit meiner Familie zu verbringen und ein bisschen runterzukommen. Wir haben das Bestmögliche daraus gemacht.“

Sahin: „Man sollte nicht vergessen, dass wir Menschen sind“

Nuri Sahin (Borussia Dortmund)
… zum Spiel: „Wir wussten, dass es nicht einfach wird sich auf Fußball zu konzentrieren. Bis zum Anpfiff war bei mir alles im Kopf, aber kein Fußball. Die zweite Halbzeit war überragend, wenn man bedenkt, was wir die letzten 24 Stunden erlebt haben. Nach dem 1:3 habe ich den Jungs gesagt, dass wir noch ein Tor brauchen. Wir sind fokussiert geblieben und haben das zweite Tor gemacht. Das zweite Tor war heute Gold wert für uns.“

… zur Ansetzung am Mittwoch: „Wir sind alle Menschen. Was gestern passiert ist, das wünsche ich niemandem. Es war mir im ersten Moment nicht bewusst. Erst als ich gestern nach Hause kam und meine Frau und mein Sohn vor der Türe standen, da habe ich erst realisiert, wie viel Glück wir hatten. Ich weiß, dass der Fußball sehr wichtig ist, dass es um sehr viel geht und ich weiß, dass wir hier liefern müssen. Wir wissen auch, dass wir hier heute antreten müssen. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass wir Menschen sind. Das war nicht schön heute.“

SID om cl