„Spieler mit Waffen und ohne Schwächen“ – Salzburgs Nachwuchschef Frank Kramer im Interview

Frank Kramer ist seit Sommer 2019 Nachwuchschef von Red Bull Salzburg. Als Trainer steht der Deutsche in der UEFA Youth League mit der Salzburger U19 unter den letzten Acht. Im Sky-Interview spricht der 48-Jährige über Millionen-Ablösen für Talente, das „Projekt Gentest“ seines Vorgängers und die Stärken der Ausbildung in Salzburg.

Was haben Sie vorgefunden, als Sie im Sommer 2019 als neuer Chef in die Nachwuchsarbeit von Red Bull eingetaucht sind?

„Infrastrukturell, personell und vom Gedankengut, sprich die Philosophie, eine Topstruktur. Es macht nie jemand etwas alleine. Es ist immer ein WIR, Teamwork. Nicht nur die Struktur, sondern auch die Menschen, die bei uns arbeiten, sind einzigartig.“

Ihre Nachwuchsarbeit ist auf einem extrem hohen Niveau. Vieles ist ausgereizt. Wo wollen Sie da noch Verbesserungen reinbringen?

„Man muss in allen Bereichen immer in Bewegung bleiben. Wir wollen uns permanent weiterentwickeln und besser werden. Das betrifft immer alle Bereiche: die Athletik, das Spiel gegen und mit dem Ball, die Präzision. Das Spiel und die Jungs ändern sich laufend. Dem wollen wir gerecht werden.“

Inwiefern?

„Früher sagte man, alle 10 bis 15 Jahre gibt es eine neue Generation. Mittlerweile alle drei bis fünf Jahre. Die Gesellschaft dreht sich extrem schnell. In der Athletik war der heutige Stand vor zehn Jahren noch nicht vorstellbar. 16-, 17-jährige Spieler sind mittlerweile körperlich viel besser austrainiert als es vor einigen Jahren noch der Fall war. Daher werden die, die nach oben durchstoßen, auch immer jünger. Dazu kommt noch, dass man begonnen hat den kognitiven Bereich systematisch zu bearbeiten, weil hier noch große Potentiale schlummern.“

Wie groß ist der wissenschaftliche Einfluss in der Akademie?

„In der Wissenschaft sind Experten. Sich kreativer Expertisen zu bedienen, halten wir für einen sehr guten Weg und dringend notwendig. Man lernt den Spieler besser kennen. Die Wissenschaft als Hilfe und Unterstützung ist eminent wichtig und ein sehr guter Input von außen. Wir wollen da auch immer einen kleinen Schritt voraus sein. Das ist schlau. Der Input sollte jedoch immer praxisrelevant sein und den Jungs auf dem Platz helfen besser zu werden. Man sollte im Fußball nicht alles der Wissenschaft unterordnen, sondern die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Platz gewinnbringend einsetzen können.“

Ihr Vorgänger Ernst Tanner (Nachwuchschef von 2012-2018) hatte das „Projekt Gentest“ geplant. Unter anderem um die Verletzungsanfälligkeit der Talente besser vorherzusagen und die Prognosesicherheit zu erhöhen. Gibt es von Ihnen Überlegungen in diese Richtung?

„Das ist mir zu weit hergeholt und geht mir pauschal einen Tick zu weit. Wir machen viele funktionsrelevante Screenings im medizinischen Bereich und einige andere Untersuchungen. Wir schauen, wo sind Schwachstellen, wo sind Stärken. Wir wollen nicht einen Roboter vor uns haben und sagen, den machen wir zum Fußballprofi. Wir machen das, was ethisch und moralisch vertretbar ist, weil wir mit Menschen zu tun haben. Wir schöpfen die Wissenschaft in ihrer gesamten Bandbreite aus, aber das Gefühl für Spiele, Spieler und die Erfahrung für die Entwicklung und Probleme der Jungs spielen ebenso ein große Rolle.“

Welche Rolle spielen der interne Konkurrenzdruck und Verdrängungswettbewerb in der Ausbildung?

„Das ist ein Ausbildungsschwerpunkt. Sich durchsetzen zu müssen, mental robust genug und strukturiert sowie fokussiert zu sein sind genau wie die fußballerischen und athletischen Voraussetzungen essentiell. Es gibt in der heutigen Zeit so viel Ablenkung. Wichtig bleibt der Fleiß, und du musst als Spieler komplett sein und eine herausragende Waffe haben.“

Wo steht die Nachwuchsarbeit sportlich im internationalen Vergleich?

„Wir sind in der UEFA Youth League wieder unter den besten acht Teams in Europa. Bei den verschiedenen internationalen Turnieren, den Ligen sind wir sehr erfolgreich. Wir sind im absoluten Top-Bereich dabei. Das ist auch die Wahrnehmung in Deutschland über unsere Akademie.“

Und vom finanziellen Aufwand her?

„Wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken. In England ist schon in sehr jungen Jahren ein extremer Wettbewerb um die Talente im Gange, da sind von den Gehältern her andere Summen im Spiel. Zu Deutschland gibt es auch Unterschiede, was die Gehälter bei Spielern und auch den Trainern anbelangt. Wir wollen zum Beispiel mit Juventus Turin oder den englischen Topvereinen finanziell gar nicht mit. Das ist nicht gesund. Die werfen bei einem großen Sieb oben viele Spieler rein und schauen, was schlussendlich unten raus kommt.“

Wie macht es Salzburg?

„Wir suchen gut aus und wollen die Spieler bestmöglich bis ins große Stadion begleiten. Es muss immer ‚gesund‘ für die Jungs sein. Sie müssen stets hungrig auf Entwicklung und den nächsten sportlichen Schritt bleiben. Unser Erfolgsgeheimnis ist, dass wir uns mit Akquise, Auswahl und Entwicklung messen. Inhaltlich sind wir mit unseren Ressourcen auf Topniveau. Wir wollen Toptalente und die entwickeln bzw. bekommen wir auch. Der klare Weg mit unserer einzigartigen Durchlässigkeit zu unserem Kooperationspartner Red Bull Salzburg ist entscheidend und nicht, wie viele Nullen im Vertrag stehen. Wenn die Jungs zu früh satt sind, fällt dir und ihnen das auf die Füße.“

Was macht erfolgreiche, gute Nachwuchsarbeit aus?

„Es gibt kein Patentrezept. Man muss eine klare Identität haben und ein gutes Umfeld für seine dazu passende Spielidee schaffen. Es muss für die Trainer, die Spieler, das Scouting und alle Mitarbeiter einen roten Faden geben und alles in eine Richtung laufen. Dazu kommt das Konzept der Ausbildung. Athletisch, fußballerisch. Und es muss von den Menschen mit einem Gefühl der Überzeugung gelebt werden. Der Teamgedanke muss bei der jeweiligen Mannschaft und in der Akademie immer da sein. Auch der schulische Aspekt muss bedacht werden. Bei uns herrscht im Internat eine sehr professionelle, aber auch sehr menschliche Stimmung. Die Eltern, die Freunde, die Berater und wir als Akademie sind die Begleiter des Spielers.“

Gibt es eine bestimmte Quote, an der sich gute Nachwuchsarbeit messen lässt?

„In Deutschland hat man früher gesagt, pro Jahrgang einer. In Salzburg ist es sowieso einmalig. Seit der Saison 2011/12 haben 47 Prozent der Spieler, die einen Einsatz in der Akademie gehabt haben, später Einsätze im Profibereich, sprich erste und zweite Liga, absolviert. Gegen Marseille im Halbfinale der UEFA Europa League waren glaub ich sieben Spieler, die sich in der Akademie entwickelt haben, in der Startelf dabei. Top, aber das Ziel sollte sein: Lass uns mindestens acht Jungs draus machen.“

Ist Karim Adeyemi, der mit 16 Jahren um über 3 Millionen Euro geholt wurde und jetzt mit 18 im Kader von Red Bull Salzburg steht, ein Beispiel für gute Nachwuchsarbeit oder gutes Scouting?

„Er ist ein Beispiel für beides. Er ist ein sehr intelligenter Transfer gewesen und wir müssen so mit ihm arbeiten, dass er den nächsten Schritt machen kann. Es geht auch um den menschlichen Aspekt, das Team, die Stimmung. Heute müssen nicht nur Mannschaften alles können, heute muss auch der Einzelne sehr komplett sein. Du brauchst eine Waffe und darfst keine Schwächen haben. Du darfst nicht irgendwo schlecht arbeiten. Du brauchst Top-Scouting plus sehr gute Begleitung. Und Karim ist noch nicht dort, wo wir mit ihm hin wollen. Nämlich Stammspieler in der Bundesliga zu sein. Er muss weiter hart an sich arbeiten um dort als nächsten Schritt hinzukommen.“

Spieler in dem Alter um so viel Geld zu holen, könnte das künftig öfter vorkommen?

„Die vorher genannte Summe kann ich nicht bestätigen, das war vor meiner Zeit. Es wird aber immer Ausnahmen geben. Die Engländer lachen sich über diese Summen schlapp. Ich hoffe, dass sich der Markt reguliert. Auf den Jungs pickt sonst ein Rucksack drauf.“

Ist Nachwuchsarbeit ein Minusgeschäft oder gewinnbringend?

„Das ist davon abhängig, wie viele Spieler wir zu unserem Kooperationspartner durchbringen. Red Bull Salzburg soll nicht der letzte Schritt sein. Wenn wir in der Akademie immer gut arbeiten, ist es immer ein Plus-Geschäft. Werte werden geschaffen, bis der Spieler den nächsten Schritt zu einem anderen Klub macht. Davon profitieren dann wiederum alle: Der Spieler und der Klub. Davon leben wir. Und wir können reinvestieren. Der Weg ist europaweit nirgends so klar und erfolgreich wie bei uns. Benfica hat vielleicht bessere Zahlen, weil sie einen Spieler um 120 Millionen verkaufen. Es ist aber auch die Quantität der Spieler, die in Topligen weitergehen, wichtig. Da sind wir in Europa top.“

Adeyemi und Nicolas Seiwald, der seit der U9 in Salzburg spielt, haben den Sprung in den Kader von Salzburg geschafft. Wer sind die Nächsten

„Vorsicht: Adeyemi und Seiwald sind gerade erst auf dem Sprung. Ein paar kleine Schritte dahinter sind ein paar weitere Jungs, die aber schon noch einen harten Weg vor sich haben. Aber die Luft ist dünn. Eine Vorhersage, eine Talentprognose ist schwierig. Viele Faktoren nehmen Einfluss. Der entscheidende ist der Spieler selbst: Wie sehr will er dort ankommen und wie hart ist er wirklich bereit dafür zu arbeiten.“

Interview: Gerhard Krabath

Fotos: GEPA