Hahnenkamm-Ikone Christl Herbert-Staffner im Porträt: „Wollte immer Rennen fahren“

Zurückgezogen und ruhig, aber trotzdem unweit vom Schickeria-Trubel, steht am Ende einer kleinen Gasse in Kitzbühel das Haus Herbert. Benannt nach seinen Bewohnern Harald Herbert und Christl Herbert-Staffner. In Kitzbühel kennt die beiden jeder, vor allem die Christl. Die 82-Jährige öffnet die Tür. Sie trägt einen lilafarbenen Pullunder, hat graues lockiges Haar und strahlt durch und durch Vitalität aus. Durch das Wohnzimmer, vorbei an einer Glasvitrine mit etlichen Pokalen, läuft sie in den gläsernen Wintergarten, setzt sich auf eine Couch und blickt in ihren grünen Garten. Es ist Januar. Im Wohnzimmer läuft, bis Christl ihn schließlich abstellt, noch der Fernseher: Ein Ski-Rennen. Natürlich.

Natürlich, weil der Ski-Rennsport und Christl untrennbar zusammengehören, seit sie ein Kind ist. 1958 wurde die damals 17-Jährige dreifache österreichische Meisterin. Dieser Erfolg sollte der Startschuss sein für ihre Ski-Karriere und ihr gesamtes weiteres Leben prägen. 1959 wurde Christl in die österreichische Nationalmannschaft aufgenommen, fuhr von da an internationalen Rennen, holte bis Anfang der 1960er Jahre mehrere Siege und war beim letzten Damenrennen auf der legendären Streif am Start. Der Höhepunkt ihrer Karriere war auch ihr krönender Abschluss: 1964, mit 24 Jahren, stellt Christl im italienischen Cervinia einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord auf: 143 km/h – nie zuvor war eine Frau schneller auf Skiern unterwegs. Und auch lange danach nicht. 17 Jahre lang hielt Christls Rekord.

© Christl Herbert-Staffner

Auf den Couch-Tisch hat Christl eine Mappe gelegt, einige Ausdrucke von alten Fotos und Kopien alter Zeitungsartikel. Sie wirkt sichtlich gut vorbereitet. Links daneben liegt ihr Handy, aus dem New York, New York von Frank Sinatra ertönt. Christls Klingelton. Sofort winkt sie ab und erklärt höflich, dass sie den Anruf nicht annehmen werde. Nachdem das Klingeln sich nicht abstellen lässt, hebt Christl schnell ab und legt noch schneller wieder auf.

Christl Herbert-Staffner wurde 1940 in Tirol in Kitzbühel geboren und ist in derselben Gasse, in der sie heute wieder lebt, aufgewachsen. Mit fünf Jahren stand die Tirolerin das erste Mal auf Skiern. Dass sie Rennen fahren wollte, wusste sie schon wenig später. „Schuld“ daran war Christian Pravda, ein bereits verstorbener österreichischer Ski-Rennläufer und der Bruder ihrer damaligen Schulfreundin Fini. „Da war ich ab und zu bei ihnen daheim und hab die ersten Pokale gesehen und da habe ich angefangen zu denken, dass ich auch eine Rennfahrerin werden möchte. Eigentlich wollte ich immer Rennen fahren.“

Rekordsieger, Preisgeld, Technische Daten: Zahlen & Fakten zu den 83. Hahnenkammrennen

Von diesem Traum weniger begeistert waren Christls Eltern. „Der Mama war nur wichtig, dass ich unverletzt wieder heimkomme. Die hat mich eigentlich zu keiner Zeit gefördert“, erinnert sich die ehemalige Ski-Rennfahrerin. Und so gab es von den Eltern auch keinen finanziellen Zuschuss für ihr Hobby. Wenn Christl Geld zum Lift fahren haben wollte, hieß es, sie solle zu Fuß den Berg hoch gehen. „Aber ich hab‘ eine nette Tante gehabt und da haben wir uns schon ab und zu eine Fahrt auf den Hahnenkamm gönnen können.“ Als Christl 17 Jahre alt wird, genehmigen ihr die Eltern, ein Jahr lang zu probieren, ob sie mit ihrer Leidenschaft erfolgreich sein würde. Es sollte so kommen.

Die Wohnzimmertür öffnet sich und ein älterer Herr mit etwas gebücktem Rücken und weißem Haar kommt in den Wintergarten. „Das ist mein Mann Harald“, stellt Christl ihn vor. Harald hat noch mehr ausgedruckte Artikel dabei. Die Beiden haben sich schon früh kennengelernt. Natürlich bei einem Ski-Rennen, 1960. Es war aber kein gewöhnliches Rennen, sondern eine Ski-Schwimm Kombination in Innsbruck. „Ich bin eher von der Schwimmer Seite gekommen und die Christl von der Skifahrer Seite“, erklärt Harald. Aber nicht nur, weil sie damals den Mann ihres Lebens kennenlernt, ist 1960 für Christl aufregend. Zum ersten Mal startet sie in diesem Jahr auf der Streif, einer der anspruchsvollsten Ski-Abfahrten der Welt, zuhause in ihrem Heimatort Kitzbühel. Sie stürzt „ganz fürchterlich“, doch das ist für Christl kein Grund aufzugeben. Generell scheint sie kein wehleidiger Mensch zu sein. Zwölf Knochenbrüche hat sie in ihrer Ski-Karriere erlitten, was aber auch den damals noch sehr primitiven Ski-Bindungen zuzuschreiben ist. Kein Bruch hat sie aufgehalten: „Darüber muss man hinwegsehen.“

So versucht sie 1961 erneut auf der Streif zu gewinnen. Es sollte ihre letzte Chance sein. Denn im Jahr darauf wird das Damenrennen vom Hahnenkamm nach Bad Gastein verlegt. Umso enttäuschender war es für Christl, beim Heimrennen „nur“ den sechsten Rang erzielt zu haben: „Für mich war das damals sehr traurig, weil ich mir eingebildet habe, ich kenne die Streif gut und ich unbedingt auf der Streif gewinnen wollte, was mir nicht gelungen ist.“ Drei Jahre später aber erreicht Christl etwas, was sie immer schaffen wollte: Sie stellt ihren Geschwindigkeitsweltrekord auf. 143 Stundenkilometer. Angst darf man da nicht haben: „Respekt hatte ich schon, Angst aber nie.“

Das sind die Preisgelder bei den 83. Hahnenkammrennen

Mit dem Ski-Rennen aufzuhören, fiel der damals 24-jährigen danach nicht schwer, denn die schnellste Frau der Welt auf Skiern hatte noch einen anderen großen Traum: Sie wollte mit Harald gemeinsam in die USA. Als staatlich geprüfte Ski-Lehrerin war man damals in Amerika sehr gefragt und Christl hatte schnell prominente Kunden wie Robert Kennedy, Bruder von John F. Kennedy. Das erzählt Harald. Es ist ihm anzumerken, dass er stolz ist auf seine Frau. Wenn Christl über ihre Ski-Karriere und ihre Zeit als Ski-Lehrerin spricht, wirkt sie sehr zufrieden, doch außergewöhnlich bescheiden.

1971 kehren Christl und Harald nach Kitzbühel zurück. Doch Skifahren bleibt weiter ein wichtiger Teil ihres Lebens: Christl fährt wieder Rennen – in den Masters-Bewerben, wo Rennläufer*innen in Altersklassen ab 30 Jahren an den Start gehen. 32-fache Weltmeisterin wird sie dabei. Und auch das Hahnenkammrennen hat wieder einen festen Platz in ihrem Terminkalender. Nicht mehr als Rennfahrerin, dafür aber als Hostessen-Chefin im Organisationskomitee. Von 1990 bis 2001 kümmert sich die Tirolerin um die Gäste, ums Schnee schaufeln und baut ein Hostessen-Komitee auf: „Mit sechs Hostessen haben wir angefangen, dann waren es 12, jetzt sind es 80.“

Diese Woche startet das 83. Hahnenkamm-Wochenende. Selbstverständlich sind Christl und Harald als Zuschauer dabei, wie jedes Jahr. Den ganzen Trubel drumherum bräuchte die 82-Jährige zwar nicht unbedingt, aber er gehört eben dazu: „Mei, ab und zu denk ich mir schon: Ist schon wahnsinnig. Aber es ist trotzdem ganz nett, wir lehnen es eigentlich nicht ab und mir gefällt’s.“ Auf die abschließende Frage, ob sie mit ihren 82 Jahren immer noch Ski fahren würde, antwortet Christl völlig selbstverständlich nickend: „Aber natürlich, wann immer das Wetter schön ist.“

ÖSV gibt Aufgebot für Kitzbühel-Abfahrten bekannt

Gastbeitrag von: Annelie Eckert

Beitragsbild: © Christl Herbert-Staffner